Reinhard Jarka, Humanmediziner in der Nähe von Berlin, hat kürzlich einen interessanten Kommentar auf Facebook gepostet, den ich hier mit seiner Erlaubnis wiedergebe. Jarka bezieht sich auf einen Kommentar der Feministin Alice Schwarzer auf ihrem Blog "Köln. Das sind die Folgen der falschen Toleranz". Sie schrieb dort:
Diese jungen Männer sind das triste Produkt einer gescheiterten, ja nie auch nur wirklich angestrebten Integration! Sie sind das Produkt einer falschen Toleranz, in der fast alle – Menschen, Medien, Kirchen und Politik – unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, unsere Gleichberechtigung infrage stellen, ja mit Füßen haben treten lassen, zugunsten ‚anderer Sitten‘ bzw. einer ominösen ‚Religionsfreiheit‘ – in deren Namen man Parallelwelten entstehen ließ und nicht auf Integration bestand.
Willkommenskultur und falsche Toleranz
Ich hatte gestern einen migrationskritischen Alice-Schwarzer-Kommentar veröffentlicht.
Daraufhin warf mir eine Dame aus dem Stamm der Linksevangelikalen zugegebenermassen in ausgesprochen freundlichem Ton vor, sie hoffe ja nun mal nicht, dass ich zu der Sorte Menschen gehöre, die früher die EMMA nicht mal mit spitzen Fingern angefasst, den Feminismus als Zeichen der antichristlichen Zeit hingestellt und heute Frau Schwarzer in ihrer migrationskritischen Argumentation zur Flüchtlingsdebatte inkonsequent verwendet hätte.
Erfahrungen aus der links-alternativen Szene der deutschen Friedensbewegung
Jarka berichtet zunächst aus seiner eigenen Lebensgeschichte.
… Ich habe am Ende des letzten Jahrtausends eine Tischlerlehre gemacht. Das war damals in meinem linksalternativen Antifa-Milieu für die Zeit nach dem Abitur eine Art Traumberuf. Das erste Geschenk, welches ich meiner damaligen bürgerlich-sozialdemokratisch sozialisierten Freundin machte, war eine handgearbeitete Kommode mit handgearbeiteten Schwalbenschwanzzinken, Schubladen und allen ökologischen Extras. In einer Schublade habe ich liebevoll neben einem esoterischen Buch über die Magie der Kommunikation mit Delphinen ein Exemplar der Emma platziert – was meine damalige Freundin im Gegensatz zu mir im Übrigen ziemlich lächerlich fand.
In diese Zeit fiel auch mein hingebungsvolles Engagement in der deutschen Friedensbewegung. Beide Affären waren gewissermaßen romantische Beziehungen. Beide konnten den Schock der harten Realität nicht überstehen. Gestatten Sie, dass ich nur auf den Fall der politischen Romantik eingehe: Tief in meinem Inneren stieg die Angst vor einer Welt, in der wir, die Guten, die Friedfertigen über die Rationalität der Mächtigen innerhalb der etablierten Parteien und Militärs siegen würden. All diese utopischen Forderungen, die wir stellten wie Ausstieg aus der NATO, soziale Verteidigung, lieber rot als tot, kamen mir im Angesicht eines totalitären menschenverachtenden Systems des Sowjetkommunismus immer mehr wie ein Himmelfahrtskommando vor. So bin ich auf die vorletzte große Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten nur noch mit halben Herzen und auf die letzte gar nicht mehr gefahren. Tief in mir wusste ich: Das wird nicht funktionieren, was hier gefordert wird. Wir handeln unverantwortlich. Heute, Jahrzehnte später, weiss man, dass große Teile der Führungsriege der damaligen westdeutschen Friedensbewegung von den östlichen Geheimdiensten instrumentalisiert wurden. Ich war erst fassungslos dann wütend als ich dies erfuhr.
Widerspruch zur eigenen Stammeslogik
Dann wendet Jarka diese Form des inneren Zwiespalts auf die Vorkommnisse in Köln an:
Mir kommt es darauf an, dass Menschen wie Sie ehrlich mit ihren inneren Konflikten und Ängsten umgehen. Auch Sie haben Angst, wenn Sie die Dinge hören, die sich in Köln zugetragen haben. Als Frau sehen Sie einen Zusammenhang zu dem Macho-Kult arabischer Jugendlichen. Genau diese Vergewaltigungen gab es am Rande der Demonstrationen des "arabischen Frühlings". Sie leben und sind abhängig von einem Tribe, der das Zulassen dieser Ängste als Verrat ansieht, der Sie wie eine Überläuferin zum Feind brandmarken würde. Dazu hassen, nein, sagen wir, verabscheuen Sie diesen Feind.
Wir leben in der Postmoderne wie in Stämmen, es geht nicht nur um Distinktionsgewinne durch den cooleren Musikgeschmack oder eine zeitgemäße kulturelle Orientierung. Es geht auch um eine soziokulturelle und politische Verortung nach Stammeslogik.
Deswegen möchte ich es Ihnen leicht machen: Ich lasse Alice Schwarzer, ein Mitglied aus Ihrem eigenen Stamm zu Ihnen sprechen. Denn wenn einer aus dem rechtsnationalen Stamm zu Ihnen spricht, möchten Sie eigentlich sofort die geistige Kalaschnikow in Anschlag bringen.
Mut zum Zweifel an der eigenen Stammeslogik
Sie sind in so vielen Dingen skeptisch. Meine Ermutigung an Sie: Haben Sie Mut zum Zweifel an den Positionen Ihres eigenen Stammes. Sie müssen ihn dafür nicht verlassen. Aber Sie können – wie dies Alice Schwarzer tut – ihre Ängste und ihren Zweifel und Ihre Wut auf Ihren eigenen linken Stamm mutig, selbstbewusst und ohne Denkverbote formulieren! Ich sagen Ihnen, es geht Ihnen danach besser. Ich habe es erlebt.