Aus den Medien: Stellungnahme zur Situation der Evangelikalen Bewegung und Nachbetrachtung

Ich habe bereits im Beitrag "Innerer Riss innerhalb deutscher Evangelikaler wird sichtbar" und "Der Richtungskampf – es geht um das Wesentliche" Ereignisse und eigene Einschätzung der Situation der sogenannten "Evangelikalen Bewegung" zusammengefasst. Endlich ist die dringend nötige Diskussion aufgebrochen. 65 Theologen, Pastoren und Vertreter von Verbänden und Netzwerken haben öffentlich Stellung bezogen. Unter idea.de und theoblog.de ist der genaue Wortlaut nachzulesen, Pro Medienmagazin hat einen ausgewogenen Bericht veröffentlicht. Herauszuheben ist der Absatz mit den Verwerfungen. In einer Zeit, in welcher Widersprüchlichkeiten Norm geworden sind, tun Grenzen besonders Not:

Wir sind uns einig, dass im Gegensatz zum postmodernen Denken das Bekenntnis zu Jesus Christus und der Lehre der Apostel mit logischer und theologischer Notwendigkeit die Verwerfung falscher Lehren einschließt. So widersprechen wir Ansichten wie zum Beispiel:

  • Man müsse für zentrale biblische Wahrheiten eintreten, doch gleichzeitig seien gegensätzliche Verständnisse und Lesarten der Bibel zu akzeptieren.
  • Es sei dem Anliegen einer geistlichen Erneuerung der Kirche nicht zuträglich, wenn Missstände offen kritisiert werden. Ein „Ruf zur Mitte“ dürfe nicht ergänzt werden durch die Verwerfung von Irrlehre.
  • Biblisch orientierte Gemeinden hätten ein Toleranzproblem und müssten sich für Pluralität in Lehrfragen öffnen. Sie müssten auch solche Mitchristen akzeptieren, die in Sünde leben und die diese Sünde gegen Gottes Willen rechtfertigen.
  • Weil Jesus ein „Liebhaber“ und kein „Rechthaber“ gewesen sei, dürfe es auch keinen offenen, energischen Streit um die Wahrheit geben, wie er aber bei Jesus, bei den Aposteln, bei den Reformatoren und den Vätern der Barmer Erklärung stattfand.

Verschiedene Vertreter haben das Treffen als Altherrenverein gebrandmarkt. Sie sprechen von einem arroganten, elitären Wächterrat, der nun entstanden sei. Ich wandte ein, dass diese Vertreter die Aufgabe eines Hirten, nämlich das Wächteramt, zu Recht wahrgenommen hätten.

Die Glaubensbasis der Allianz bekennt sich zur Bibel als höchster Norm für Lehre und Leben. Eine skeptische Epistemologie (Erkenntnislehre) hat das Wahrheitsverständnis grundlegend verschoben. Jetzt sind einige Menschen aufgestanden und haben an einem konkreten Beispiel (Ethik) auf die zunehmende Anwendung einer relativistischen Hermeneutik hingewiesen. Damit haben sie als Hirten ihre Wächterfunktion Gott sei Dank, leider aber etwas spät, wahrgenommen. Beliebigkeit und Widersprüchlichkeit schaden den Gemeinden stark. Ich habe vor allem wahrgenommen, dass Menschen in ihrem Elend allein bleiben. Sie leben weiter, als ob sie ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt seien (Epheser 2,12).
Unter einer Relativierung der Ethik leiden vor allem die Schwächsten. Dies hat der Harvard-Forscher Richard Tarnas in „Das Wissen des Abendlandes“ überzeugend nachgewiesen. Wenn meine Wahrheit gegen deine Wahrheit steht, setzt sich doch einfach der Stärkere durch. Wir sollten hier vielleicht vermehrt auf die Kirche des Südens und die verfolgte Kirche hören. Sorry, unsere Kirchen sind einfach … dekadent & schlapp. Man darf sich nicht mehr äussern, weil es nicht der Norm „frommer correctness“ entspricht. Diesem grassierenden Übel muss unbedingt Einhalt geboten werden. Zum Glück gibt es noch einige, die sich vor dem Spott des „linksevangelikalen“ Establishments nicht scheuen.

Die Bibel- und Wahrheitsfrage ist der Wegbereiter für die restlichen Fragen.

Ich vergleiche das mit einer Strickarbeit. Man muss von Anfang an richtig "einfädeln". Platz und Verständnis der Heiligen Schrift beeinflussen, wie wir unser Leben leben. Ich protestiere ja beileibe nicht nur wegen der Schrift- und Wahrheitsfrage. Sie ist vielmehr das "Eingangstor". Als systematischer Theologe bin ich schockiert, welche Gotteslehre (Vernachlässigung der Transzendenz), Christologie (Vernachlässigung der Stellvertretung und Rechtfertigung), Anthropologie (Vernachlässigung der Sünde), Ekklesiologie (Vernachlässigung des Ordnungsaspekts) und Dienst (Vernachlässigung der Heiligung und Evangeliumsverkündigung) gelehrt werden. Francis Schaeffer hat ja gesagt: Wie wir mit der Bibel umgehen, wird Auswirkung darauf haben, wie wir unser gesamtes Leben leben.

Weshalb schätze ich diese Diskussion so wichtig ein? Sie betrifft unsere nächste Generation. Welchen Glauben bekommen sie vorgelebt? Ich stelle bekümmert fest, dass man zwar irgendwo über geschriebene Bekenntnisse verfügt. Dort steht in aller Regel auch etwas von einem "irrtumslosen Wort Gottes". Doch es ist entscheidend, ob wir dieses Bekenntnis in allen Lebensbereichen auch umsetzen! Unsere Vorstellung von einem heilig-liebenden Gott, die Zentralität des Kreuzes, das Wissen um unsere völlige Unzulänglichkeit als Sünder, das Bewusstsein der Wichtigkeit der Kirche als Institution beeinflussen unsere täglichen Prioritäten. Welche Wirkung soll ein zahnloser Liebesgott, ein toller Kumpel Jesus, ein Bild des Menschen, dem eigentlich nichts fehlt, auf unsere nächste Generation entfalten? Die Antwort ist doch offensichtlich. Ich verstehe jeden Jugendlichen, der uns der Heuchelei bezichtigt und den frommen Kreisen den Rücken zukehrt. Das bedeutet: Diese Stellungnahme ist der Anfang eines Weges zurück zu einer gesunden und ausgewogenen Lehre!