Buchbesprechung: Einführung in die Philosophie von Thomas von Aquin (II)

Zum ersten Teil der Besprechung geht es hier. Anmerkung: Ich bin kein (Neo-)Thomist. Doch manchen Prinzipien, die Kreeft anhand von Aquin herausarbeitet, kann ich zustimmen.

Vorlesung 6: Die göttlichen Eigenschaften

Kreeft beurteilt Aquins Vorgehen als

  1. diszipliniert: Es geht nur so weit, wie die Logik gehen kann und ersetzt Frömmigkeit nicht durch Überlegungen.
  2. deduktiv-fruchtbar: Aus wenigen Annahmen wird Monumentales entwickelt.
  3. praktisch: Innerhalb der Metaphysik stecken konkrete Lektionen.

Erste Antwort: Wir wissen nicht, was Gott ist, nur was er nicht ist.

  1. Einfachheit (simplicity): Einheit der göttlichen Natur
  2. Vollkommenheit: was immer gut und schön in den Geschöpfen ist, ist noch perfekter in Gott vorhanden
  3. Güte: Weil der Schöpfer gut ist, muss das Geschöpf auch gut sein (Güte bezieht sich auf das Sein)
  4. Unendlichkeit
  5. Allgegenwart: Gott ist gegenwärtig in allen Dingen (was kein Widerspruch zur Transzendenz darstellt, ja es wird von ihr erst ermöglicht)
  6. Unveränderbarkeit: Jeder Wandel rührt von etwas, das potenziell und dann tatsächlich ist (was von Gott nicht gesagt werden kann)
  7. Ewigkeit: gleichzeitig ganzer und perfekter Besitz endlosen Lebens
  8. Einheit

Aquin glaubt an die Trinität, weil er an göttlich offenbarte Daten der Bibel glaubt.

Vorlesung 7: Kosmologie (Schöpfung, Vorsehung, freier Wille)

Schöpfung

Warum schuf Gott die Welt? Aus purer Grosszügigkeit, selbstloser Liebe und Güte.

Wie schuf er sie? Ohne Mittel aus dem Nichts.

Ist das möglich? Wenn ja, dann generiert dies einen unendlichen Abstand, der nur durch Analogie und Negativ-Formulierungen beschreibbar ist.

Ist die Erde unendlich alt? Die Schöpfung ist geschaffen, nicht ewig (gegen Aristoteles).

Schuf Gott die beste aller Welten? Nein (mit Voltaire).

Ist dies das einzige Universum? Ja. Eine physische Ordnung mit einheitlichen Gesetzen.

Evolution? Nach Kreeft ist direkte göttliche Schöpfung des Menschen und biologische Evolution des menschlichen Körpers möglich.

Beziehung zwischen Gott und der Welt

Liebt Gott alles in der Welt? (Aquin bejaht.)

Liebt Gott alle Dinge gleichermassen? Nein (gewollte Hierarchie).

Kommt die Verschiedenheit von Gott? Ja, von Gott gewollt.

Führen Geschöpfe von Gott weg oder zu ihm? Zu ihm hin (gegen spiritualistische Tendenzen).

Hat der Kosmos und der Mensch Gott als sein Ende/Ziel? Ja.

Geschehen in der Welt

Alles untersteht Gottes Vorsehung.

Wie wirkt Gottes Vorsehung? Durch Gottes „Unterstellte“ (subordinates).

(Kreeft leitet daraus ab, dass Aquin keine Mühe mit der Evolution gehabt hätte: Wirken durch Sekundärursachen.)

Weil Gnade die Natur vervollkommt, lässt sich das Prinzip auch auf den freien Willen anwenden. Die natürliche Ordnung wird nicht aufgehoben, sondern die Vorsehung erfüllt sich eben durch sie.

Kann Gott etwas ausserhalb der geschaffenen Ordnung tun? Ja.

Umfasst der Kosmos auch Engel? Ja, weil es nicht nur materiell ist.

Gutes und Böses

Will Gott das Böse? Gott will alle Dinge, aber das Böse ist sein Sein (being, entity). Es ist eine Entehrung (deprivation) des Guten.

Wird das Böse je das gesamte Gute korrumpieren? Nein, weil es ohne das Gute gar nicht existieren kann.

Und was ist mit dem Leid? Gottes Weisheit fügt Leid zu, um grösseren Schaden zu verhindern.

Vorlesung 8: Metaphysik

Neue Serie von Vorlesung, die sich an der Philosophie eher als an der Summa orientieren

Aquins Antworten auf Einwände von Philosophen gegen die Metaphysik an sich

  • Alle Wissenschaften betrachten das Wesen an sich. Die Metaphysik sieht sie aus der Sicht ihrer universellen Eigenschaften, Gesetze und Prinzipien.
  • Metaphysics is not about what everything is but that anything is.
  • Mit Aristoteles: Philosophie beginnt mit Staunen.
  • Intelligenz und Zugang sind einander zugeordnet.

Prinzip der Analogie

Unterscheidung zwischen unterschiedlichen, jedoch zusammenhängenden Bedeutungen (z. B. Gott > menschliche Seele > Tier > Pflanze)

"If the heart of philosophy is penetrating to the supreme reality, and if the heart of religion is the practice of the presence of God, then this is where philosophy and religion meet."

Vorlesung 9: Philosophische Anthropologie

Erster Punkt der Anthropologie innerhalb der summa: Seele als „erstes Prinzip in lebenden Dingen“; trifft also auch auf Tiere und Pflanzen zu. Deri Unterschiede beim Menschen: Immateriell, subsistent (existierend als Substanz), unsterblich.

Der Geist ist immaterielle, geistliche Kraft der Seele. Erkenntnis (knowledge) ist die Beziehung des Geistes zum erkannten Objekt (gegen den Materialismus).

Die Seele existiert als Substanz, unabhängig vom Körper, und sie ist unsterblich, das heisst nicht zerstörbar.

The soul is the form of thebody, and the body is the matter of the soul.

Wichtigste Voraussetzung für diese Argumentation: Kein natürliches Bedürfnis ist vergebens.

Der Körper ist kein Gefängnis für die Seele, sondern zu seinem Guten.

Unterschiede mittelalterliches/modernes Verständnis: Gegenstand durch Form, empirische Details durch einigenden Zweck, Materielles durch Nicht-Materielles erklären

Damalige Kontroverse: Drei Kräfte der Seele, vegetativ, animalisch, rational. Unterscheidung zwischen zwei kognitiven Kräften, sensorisch und intellektuell.

Psychologische Grundlage der Ethik: Das höchste angestrebte Gut ist Glück; dieses Ziel ist Objekt des Willens.

Der Mensch verfügt über einen freien Willen. Begründung: Ohne ihn würde moralische Sprache (Rat, Ermahnung, Befehl, Verbot etc.) keinen Sinn ergeben.

Vorlesung 10: Epistemologie

Nicht bei Aquin zu finden, da moderne Diskussion: Kritik und Rechtfertigung des menschlichen Verstandes. (Mögliche Antwort von Aquin: Epistemologie kann nicht ohne Metaphysik betrieben werden, denn Erkenntnis beruht auf dem, was ist.)

Von Aquin ist Realist, nicht Idealist. Er glaubt, dass der Mensch objektive Realität und nicht nur seine eigenen Ideen erfassen kann (gegen Decartes‘ Rationalismus, Lockes‘ Empirismus und Kants epistemologische Wende).

Moderater Empirismus: Menschliche Erkenntnis beginnt mit sensorischer Wahrnehmung, ist jedoch nicht auf sie beschränkt. Er glaubte (gegen Plato) nicht an innewohnende Ideen, sondern (mit Aristoteles) an einen rezeptiven menschlichen Geist.

Identitäts- statt Korrespondenztheorie: Die Formen aller Dinge existieren im menschlichen Geist.

Wir erkennen Wahrheit nur durch die Beurteilung in Form von Zustimmung und Ablehnung eines Konzepts.

Wir erkennen uns selbst durch Reflexion der Erkenntnis über die Welt.

Von Aquin wäre von den Erkenntnissen der Hirnforschung nicht überrascht gewesen. Es entspricht dem Verständnis, dass sie Seele die Form des Körpers ist.

Zum Verhältnis zwischen Intellekt und Wille: Von Aquin gesteht beiden ihre Berechtigung zu (sie brauchen sich gegenseitig) und erklärt weder Intellektualisten noch Voluntaristen vorrangig.