Buchbesprechung: Luther – Mensch zwischen Gott und Teufel

Heiko A. Oberman. Luther: Mensch zwischen Gott und Teufel. Severin und Siedler: Berlin, 1982. 380 Seiten. Ab 0.99 Euro (antiquarisch).

Der Nachwelt ist Luther der Reformator, der Erneuerer der Kirche. Er selber sah sich ganz anders – von Gott gebrauchtes und gestossenes Werkzeug zur Rettung der Christenheit vor dem in wenigen erwarteten Jüngsten Gericht. Er weiss sich als Sprachrohr eines bedrängend nahen, überwältigenden Gottes – mehr Getriebener als Handelnder: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. (Umschlagtext)

Als die Kirche dem Himmel noch gleich war und der Kaiser die Macht der Welt repräsentierte, da hatte sich dieser Mönch gegen die Mächte von Himmel und Erde erhoben. Ihm blieben Gott und der Teufel, sein allgegenwärtiger Widersacher. (7)

Eine klasse Biografie

Selten sind Klappentexte so treffend wie dieser. Die Luther-Biografie von Heiko H. Oberman betrachte ich als wertvolle Studie zur Zeit, Leben und Werk des Reformatoren. Oberman, niederländischer Reformationsforscher (1922-2001), betätigt sich hier in seinem Kerngebiet. Wer sich etwa die Literaturangaben aus Luthers Werk ansieht, erkennt rasch, welche gründliche Arbeit hinter dem Buch steckt. Ich war an die Augustinus-Biografie von Peter Brown erinnert. Jedem, der sich näher mit Luther auseinandersetzen möchte, empfehle ich die Lektüre. Auch wenn die Sprache anspruchsvoll ist: Durchhalten lohnt sich.

Nachvollziehbarer, sorgfältig arrangierter Aufbau

Der Aufbau wird der Komplexität der Ereignisse und Bezüge gerecht. Im ersten Teil bettet Oberman den Auftritt Luthers geografisch, epochal und biografisch ein. Im zweiten Teil bespricht er das Reformationsereignis als solches, indem er die Zubereitung, den Durchbruch und die Anfechtungen des Reformators beschreibt. Drittens kommt Oberman auf die zahlreichen Kontroversen und Entzweiungen in den knapp drei Jahrzehnten der Wirkungszeit Luthers zu sprechen, um dann auf Person und Tat Luthers selbst zurückzukommen.

Die These…

habe ich schon mit den beiden Zitaten zum Einstieg wiedergegeben. Oberman ist überzeugt, dass ein wirkliches Verstehen Luthers es nötig macht, "seine Geschichte anders zu lesen als gewohnt: Sie ist Geschichte 'Sub specie aeternitatis', zwar im Licht der Ewigkeit, doch nicht im milden Schein eines stetigen Fortschritts gen Himmel sondern im Schatten der chaotischen Endzeit einer nahe herbeigekommenen Ewigkeit." (21) Diese bedrohliche, dringende Kulisse steht über dem gesamten Leben und Wirken des Reformators.

Das Umfeld des Reformators

Landespolitik

"Das landesherrliche Kirchenregiment ist nicht erst das Ergebnis der Reformation, es hat schon ihren Anfängen Pate gestanden." (29) Die Konstellation der Kaisernachfolge und der Machtkampf mit den  Regionalfürsten war eng verbunden mit dem Werdegang und Verlauf der Reformation.

Papsttum

Das Reformmanifest "An den christlichen Adel deutscher Nation" "ist nicht die Fortsetzung der akademischen Debatte mit andern Mitteln, sondern das Ergebnis der im wörtlichen Sinne niederschmetternden Erkenntnis, das der Antichrist das Regiment der Kirche übernommen hat." Rom ist die "Einbruchsstelle des Teufels, der dort eindringt, um seinen letzten grossen Kampf gegen Christus auszufechten." (50-51)

Luther als Bussprophet

Luther sprach nicht als Held, sondern als "Bussprophet, der die Nation statt zum Sieg zum Beichtstuhl führt mit dem Ziel, 'das wir durch Straff uns bessern und Gottes huld widder erlangen'" (54). Sein Programm hiess "Busse, Umkehr und Reformation, ohne die Aussicht auf ein goldenes Zeitalter, es sei denn, nach der Wiederkunft Christi" (55). "Als Volksheld hat er sich verweigert – eben so ist er deutsches Ereignis geworden." (57)

Ängste der Zeit

"Luther war von den Ängsten seiner Zeit nicht unberührt, und eben darum hat er wohl auch so nachhaltig in sie hineinsprechen können." (75) Worin bestand diese? Es war das Hoffen und Bangen, dass der Tag Gottes jeden Tag hereinbrechen werde. (79)

Ablass

Die Ablasskritik "war keineswegs neu und unerhört; sie konnte damals und kann heute auch von Reformkatholiken mitvollzogen werden." (81) Seine Reformpredigt, in den 95 Ablassthesen zum Ausdruck gebracht, "ist nicht asketisch entrückt, sondern gilt der Welt – nicht um sie in ein Kloster zu verwandeln, sondern damit sie Welt bleibe und so werde, was sie ist: Gottes gute Schöpfung." (83) In der "Freiheit eines Christenmenschen prangert Luther Luxus, Handel, Wucher und Geschäftsmonopole gleichzeitig an. Seine Ethik ist "Überlebensethik in gefährlichen Zeiten" (85).

Bildungsrucksack, Werdegang und Durchbruch des Reformators

Sein ganzes Leben lang hat der Reformator in mündlichen Debatten und schriftlichen Auseinandersetzungen vom "scholastischen Bildungsfundus profitiert" (120). Die philosophische Fakultät hatten Luther die Waffen zu seiner Verteidigung an die Hand gegeben (126). Als Luther ins Kloster in Wittenberg eintrat, liess er alle Bücher zurück, "nur seinen Plautus und Virgil behielt er bei sich – und zitierte daraus sein Leben lang" (131).

Das Gespür für die Heiligkeit Gottes ist Luther "von Anfang an eigen gewesen". "Es verhinderte, dass sich im Umgang mit Gott fromme Gewöhnung einschlich… Immer geht es um die Begegnung mit dem lebendigen Gott." (146) 1512 übernahm Luther eine Bibelprofessur, die er sein ganzes Leben lang behalten sollte (151).

So suchte Luther denn "nach dem harten Kern im Wildwuchs des Heilsangebots der Zeit" (159). Dabei war ihm "das genaue Hören auf die Heilige Schrift die einzige wissenschaftliche Basis und damit der sichere Massstab für Wahrheit" (ebd). "Luthers Entdeckung ist darin völlig neu, dass er sieht, wie Gottes Gerechtigkeit mit der Gerechtigkeit Christi untrennbar vereint und darin aufgegangen ist" (161). "Der Stachel von Lohn und Leistung, so lange unwidersprochen der Grundantrieb menschlichen Handelns, wurde gezogen; den guten Werken, deren Unverzichtbarkeit das Evangelium kirchlicher Lehre gemäss so deutlich bezeugt, ist die Basis entzogen." (162)

Anfechtungen und Kontroversen

"Luther … hat sein Leben und sein Wirken aus einer anderen Perspektive gesehen, die dem modernen Historiker und aufgeklärten Weltbürger ungeläufig, die ihm sogar völlig fremd geworden ist: Er sei geführt, ja getrieben und gestossen worden. Von der ersten Auseinandersetzung um seine Ablassthesen bis hin zu seinem letzten Rückblick auf den Weg zur Reformation hat Luther stets darauf bestanden, dass seine 'Laufbahn' keiner natürlichen Veranlagung entsprach und keinem eigenen Lebensplan entsprang." (223)

Luther widmete sich zahlreichen Kontroversen und Streitigkeiten auch aus den eigenen Reihen: "Taufe, Abendmahl, Busse, Ehe und Obrigkeit waren die zentralen Themen, mit denen Luther sich in den kommenden Jahren zu befassen hatte." (240) Luthers hartes Einsteigen in die Bauernkriegspropaganda und der Bruch mit Erasmus hatten Luther schon in den 1520er-Jahren in Konflikt sowohl mit dem gemeinen Mann als auch mit der Welt der Gelehrten gebracht (vgl. 299).

Gelernt

Ich bin beeindruckt von der Unbestechlichkeit Luthers. "Zeitlebens war er unbestechlich und ohne Rücksicht auf Personen oder eigene Interessen bereit, auch Freundschaften aufs Spiel zu setzen, wenn es um Grundsätze ging" (155). So gab es denn keinen Luther, der im Kreis der Familie anders war als der, den man von seinen öffentlichen Ämtern her kennt (324).

Luthers Jähzorn "wird teilweise damit entschuldigt, dass er ununterbrochen im Kampfe und jeweils 'explodierte', wenn ihm der Druck der Angriffe unerträglich wurde" (308). Da sein Leben ein Kampf gegen den Teufel war, "war er von Kopf bis Fuss gegen Krankheit ausgerichtet und auf Gesundheit eingestellt" (344). Bei seinen zahlreichen körperlichen Beschwerden ist das beeindruckend.

Zweitens nehme ich mir die Genauigkeit des Reformators mahnend zu Herzen. ""Stunde um Stunde wird ein Text nach dem andern abgeklopft, um durch die Worte hindurch Zugang zum Worte Gottes zu gewonnen." (171) Wahrer Theologe wird man nicht durch Philosophieren und Spekulieren, sondern "durch das Leben, das in Anfechtungen und das Kämpfe zu bestehen aufgibt" (166).

Oberman drückt aus, was ich mir auch für mein Leben wünsche: "Gottesfurcht beherrschte Denken und Handeln. Im Vergleich dazu verblasst Sorge und Angst vor weltlicher Macht und kirchlichem Druck." (199)

Schliesslich stehen da seine letzten Worte: "Wir sind Bettler." "dieses Worte, das sich Luther kurz vor seinem Tod auf einem Zettelchen aufgeschrieben hatte, ist keine Sterbemoral, sondern Lebensweisheit und entspringt der Erfahrung mit der Arbeit an der Bibel, der Übersetzung und der Auslegung." (319)