Buchbesprechung: Die Lehre der Offenbarung

Cornelius van Til. An Introduction to Systematic Theology: Prolegomena and the Doctrines of Revelation, Scripture, and God. P & R: Philippsburg, 2007. 409 Seiten. 20,80 Euro.

(Diese Besprechung bezieht sich auf den ersten Teil der Offenbarunglehre.)

Cornelius Van Tils Offenbarung (doctrine of revelation) habe ich intensiv studiert. Van Til leitet hier seine Grundlagen einer transzendenten theologischen und allgemeinen Epistemologie ab. Ich versuche seine wichtigsten Gedankengänge festzuhalten. Ich habe dabei ebenso von den Fussnoten Brian Edgars – dem Nachfolger van Tils auf dem Lehrstuhl für Apologetik in Westminster – profitiert wie vom Haupttext selbst. (In den Ausführungen habe ich dies mit „Fn“ für Fussnote gekennzeichnet.)

Die Methode der Systematischen Theologie

Nach der Darlegung des Nutzens systematischer Theologie beginnt van Til mit der Methode.

a)      Sie beginnt mit dem sich selbst bestätigenden (self-authenitcating) Gott, der ausserhalb menschlicher Gedanken existiert und sich selbst seinen abhängigen Geschöpfen offenbart (27, Fn).

b)      Weil Gott und Mensch korrelieren, muss menschliche Erkenntnis in jedem Fall analog geschehen. (31)

c)       Sämtliche Erkenntnis hängt von einem willentlichen Akt göttlicher Offenbarung ab. Jedes Stück menschlicher Erkenntnis ist deshalb abgeleitet (derivative) und re-interpretativ. (33, 34)

d)      Kein einziges Faktum in diesem Universum kann vom Menschen ohne die Existenz Gottes richtig erfasst werden. (36)

e)      Zudem unterlegt jedes einzelne Faktum den christlichen Glauben. Auch wenn beispielsweise Erkenntnisse aus der Archäologie nicht mit der Bibel in Einklang gebracht wurden (have been correlated), sind sie trotzdem ein Beweis für die christliche Weltsicht. (40, Fn)

Christliche Epistemologie

Eng mit der Frage der Methode verbindet van Til das Thema der Funktion des Verstandes in der Theologie.

a)      Ausgangspunkt ist erneut die Feststellung, dass die Bedeutung jedes Fakts mit Gott in Verbindung gebracht werden muss. Jedes „Einzelteil“ (particular) unserer Erfahrung muss in Beziehung mit dem Gesamten (universals) stehen. (58)

b)      Unsere Existenz korrespondiert mit Gottes Dasein, es ist jedoch nicht Teil von ihr. (59, Fn)

c)       Gottes volles Verständnis (comprehension) validiert unsere stückweise Erkenntnis. (61)

d)      Der nicht erlöste Mensch sieht sich als letzten Interpreten anstatt als demütigen Reinterpreten dieser Welt. (63)

e)      Van Til behauptet deshalb die absolute ethische Antithese: Der Mensch weiss um nichts richtig, wie er es eigentlich sollte. (64)

f)       Die Bekehrung bedeutet einen Wechsel in der grundsätzlichen Orientierung des Menschen. Seine Wahrnehmung ist prinzipiell wiederhergestellt. (67)

g)      Es gibt zwei dominante Unterscheidungen: Die Schöpfer-/Geschöpf-Unterscheidung und die Unterscheidung zwischen den Gedanken eines Wiedergeborenen und eines Nicht-Wiedergeborenen. (72, Fn)

h)      Der nicht wiedergeborene Mensch identifiziert Gott mit der ganzen oder einem Teil seiner Schöpfung. (76)

i)        Der wiedergeborene Mensch wird in seinem ganzen Wesen wiederhergestellt und befähigt seinen Intellekt, seinen Willen und seine Emotionen zu kultivieren. (79)

j)        Van Til attackiert das Naturrecht und betont die Antithese bezüglich Ziel, Norm und Motiven (84, vgl. Westminster Bekenntnis 16.7).

Differenzierung von van Tils Epistemologie gegenüber Herman Bavinck

a)      Das a priori des Idealisten ist nicht der Schöpfergott, der allem seine Bedeutung verleiht; noch ist das a posteriori des Idealisten die Schöpfung mit ihren von der vom Schöpfer intendierten Bedeutung. (29 Fn)

b)      Die Frage bei Bavinck ist: Auf was ruhen die a priori Prinzipien der Wissenschaft? (93, 98)

c)       Van Til bezichtigt Bavinck eines zu naiven Realismus, der nicht genügend deutlich unterscheidet, dass der Mensch nicht mit der Realität, wie sie sich in seinem Geist abbildet, beginnen kann. (94, Fn)

Differenzierung des Zusammenhangs zwischen allgemeiner und spezieller Offenbarung gegenüber V. Hepp

a)      Niemand kann die Natur des allgemeinen Zeugnisses Gottes durch die Schöpfung ohne das spezielle Zeugnis der Schrift richtig verstehen. (112)

b)      Offenbarung ist stets autoritatives Zeugnis und fordert vom Menschen Gehorsam. (114)

Übersicht: Quellen der Offenbarung (121/122)

Über die Natur Durch die Natur Durch das Selbst Durch Gott
Über den Menschen Durch die Natur Durch das Selbst Durch Gott
Über Gott Aus der Natur Durch das Selbst Von Gott

Christlich-theistische Offenbarung: Wie ist es um die göttliche Offenbarung vor dem Sündenfall bestellt?

a)      Jede Erkenntnis des endlichen Geschöpfs ruht letztlich auf der Offenbarung Gottes. (119)

b)      Das gesamte Universum offenbart die Herrlichkeit Gottes. (120)

c)      Mathematik als Beispiel ist ein Modus von Gottes geschaffenem Universum. (123)

d)      Wenn die ontologische Trinität unseren Zuschreibungen (predication) zugrundeliegt, kann kein Skeptizismus bezüglich unserer Sinneswahrnehmungen aufkommen. (124)

e)      Natur muss im Rahmen der Geschichte und diese wiederum unter Berücksichtigung ihres letzten Ziels betrachtet werden. (126)

f)       Der Mensch ist der einzige selbst-bewusste Reinterpret des Universums. (129)

g)      Der Mensch kann via den Menschen selbst und die Natur viel über Gott lernen. (134)

h)      Die allgemeine Offenbarung war nicht dafür gedacht, unabhängig von der Theologie zu existieren. (136, gegen Thomas von Aquin)

Gegenwärtige allgemeine Offenbarung durch die Natur

a)      Die Offenbarung der Schöpfung ist allen Menschen zugänglich, während nur Gläubige sie richtig zu interpretieren in der Lage sind. (138)

b)      Gott lässt die menschliche Ungerechtigkeit oft bestehen. (141, Fn)

c)       Das historische und kulturelle Gedächtnis ist zwar gestört, trägt trotzdem Zeugnis der Wahrheit in sich. (142, Fn)

d)      Wenn der Mensch die Natur betrachtet, müsste er daraus schliessen, dass 1. Gott der Schöpfer ist, 2. Gott durch Vorsehung diese Welt regiert, 3. dass eine nicht-erlösende Gnade wirksam ist, 4. dass die ursprüngliche Vollkommenheit abhanden gegangen ist, 5. dass es spezielle Gnade Gottes braucht und 6. der Mensch ein ewiges Gericht verdient. (143-146)

e)      Von einem absoluten Standpunkt weiss der Mensch um nichts richtig, von einem mittelbaren Gesichtspunkt hingegen etwas über alles. (150)

f)       Wissenschaftler borgen oft von der Offenbarung, ihren eigenen Grundannahmen zum Trotz. (152)

Gegenwärtige allgemeine Offenbarung durch den Menschen

a)      Dass der Mensch aufgrund der Natur über seine eigene Unsterblichkeit mutmasst, weist auf die gefühlte Verbindung zwischen Natur und Mensch hin. (155)

b)      Hinweis: Die Institutio beginnt nicht mit dem Beweis von Gottes Existenz. Diese wird vielmehr vorausgesetzt. (157, Fn)

c)       Van Til echot stark Calvins sensus divinitatis trotz des Sündenfalls. (158, Fn)

d)      Der Mensch kann nie mit Gottes Offenbarung konfrontiert werden, ohne dass er darauf reagieren müsste. (161)

e)      Hierin liegt der Widerspruch Satans (und gleicherweise des unerlösten Menschen): Er kennt Gott, und doch kennt er ihn nicht wirklich. (164)

f)       Van Til geht von einer originalen Eschatologie, also von einer Entwicklung des Menschen ohne Sünde, aus. (170)

Gegenwärtige allgemeine Offenbarung durch Gott

(Es wiederholen sich manche Gedankengänge. Das ist ein Markenzeichen von van Tils Schriften. Er denkt weniger in konkreten Einzelheiten als in einem gesamten System.)

a)      Die allgemeine Offenbarung bestätigt nicht nur die bare Existenz, sondern auch einige Eigenschaften Gottes. (177)

b)      Der Menschen vor dem Sündenfall war in der Lage, Gott – soweit dieser sich offenbart hatte – durch analoges Denken wirklich zu erkennen. (177)

c)      Sünder denken nur eindimensional (univocal). (178)

d)      Der natürliche Mensch müsste zuerst anerkennen, dass er nicht im Normalzustand ist. Das will und kann er nicht. (179)

e)      Gott offenbarte sich auch nach dem Sündenfall weiterhin durch die Natur. (179)

f)       Der Mensch sollte bedenken, dass die Unordnung in der Schöpfung nicht normal ist. (181)

g)      Tief in sich drin müsste der Mensch zugeben, dass er von Gott geschaffenes Wesen ist. (182)

h)      Er hätte auch das teleologische Argument analog anwenden sollen. (185)