Input: Der Triumph des Therapeutischen

Angestossen von Philip Rieff. The Triumph of the Therapeutic. The University of Chicago Press: Chicago/London, 1987 (Neuauflage von 1966).

Die Therapeuten sind die Priester der Religion des Selbst. Rieff schrieb dies vor 50 Jahren. Heute hat diese Kultur auch im frommen Lager voll durchgeschlagen:

Das Ideal

Ich bin Autor und Gestalter auf der privaten Bühne meines Lebens. Dort soll mir eine lebenslange, möglichst ungestörte, sorgenfreie und natürlich unterhaltsame Dauervorstellung geboten werden.

Was steht schief?

Alles, was diese Erfüllung stört, muss beseitigt werden.
Eine Spezialkategorie dieser Störung stellen diejenigen dar, die behaupten, es gebe eine absolute Wahrheit. Im christlichen Bereich sind es die Verfechter von Dogmen.

Wie können die Probleme beseitigt werden?

Entdecke und durchforste dein Inneres. Führe dir vor Augen, wie genial du bist.
Wenn du zu deiner inneren Stimmigkeit zurückgefunden hast, dann feiere dies. Lasse das Eigene triumphieren!

Was ist das schlimmste Vergehen?

Sich selbst untreu zu sein und
andere zu stören und sie dadurch zu verletzen.

Warum gibt es andere Menschen?

Sie sind Erfüllungsgehilfen meiner eigenen Bedürfnisse.
Falls ich dies willentlich eingehe, können sie auch Nutzniesser meiner Anstrengungen sein. Der Lohn dafür ist das Geliebtwerden.

Wer ist Gott und wer sind seine Priester?

Das Ich ist die oberste Instanz. Es geht um mich.
Berater und Therapeuten übernehmen streckenweise (bei Verunsicherung innerhalb dieser Grundorientierung) die Funktion des Sorgers.

Welche Funktion hat Leid?

Es erzeugt Druck zur Veränderung und setzt Energie frei, die Störfaktoren zu beseitigen.
Leid funktioniert als Katalysator.

Wie wird diese therapeutische Religion finanziert?

Durch Zeit, die zulasten der Erwerbsarbeit geht;
falls das private Einkommen nicht ausreicht, springt der Staat als Ersatz ein.