Buchbesprechung: Israelischer Befreiungskrieg und Sechstagekrieg

Ich bin begeisterter Leser von Geschichtsbüchern. Diese Begeisterung scheine ich der nächsten Generation weitergegeben zu haben. Vor wenigen Wochen las ich zwei Bücher über den israelischen Befreiungskrieg nach der Staatsgründung (1948) sowie über den Sechstagekrieg (1967). Dabei war ich mir sehr wohl bewusst, dass sich in den letzten Jahren unter evangelikalen Christen die Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts verschoben hat (siehe z. B. "The End of Evangelical Support for Israel?"). Gary M. Burge fasst die Lage so zusammen:

(Y)ounger evangelicals who see social justice as an integral part of their discipleship now see the moral ambiguity of this conflict. While once evangelicals gave exclusive support to Israel, today that support is balanced in that younger evangelicals have sympathies with both sides in this struggle and are rejecting the unilateral commitments held by an older generation.

Zu beiden Büchern habe ich auf Amazon kurze Rezensionen verfasst, auf die ich verweise.

Minuziöse Erzählung über die Staatsgründung Israels jenseits heutiger Political Correctness

Larry Collins. Dominique Lapierre. Oh Jerusalem. Goldmann, 1984. Antiquarisch.

Mein 9-jähriger Sohn, eine Leseratte, machte sich vor einigen Wochen an eine fünfbändige Saga, in der die Geschichte von Israels Staatsgründung in den Jahren 1947/48 beschrieben wird. Er kam zu mir und meinte etwas enttäuscht: "Diese Bücher sind etwas kitschig. Die Männer verlieren immer, und die Frauen sind die Helden." Er wünsche sich ein Buch über die Geschichte der Staatsgründung Israels.

Kurz zu meinem weltanschaulichem Hintergrund: Als gläubiger Christ gehe ich davon aus, dass der persönliche Gott, der jeden Menschen schafft, die Geschicke der gesamten Geschichte lenkt. Dies gilt nicht nur für die grossen Zusammenhänge und Verschiebungen, sondern betrifft auch die kleinsten Details im Alltag eines einzelnen Menschen. Familie, Geburtsort, Land, Zeit und Umstände sind von Gott für einen Menschen vorgesehen. In der Bibel bezeugt dieser Gott auch, dass er den einzelnen Völkern ihre Grenze zugeteilt habe.

Jeder Blick auf geschichtliche Ereignisse ist von Vorannahmen begleitet. Wir müssen gewisse Ereignisse herausfiltern und sie in einen interpretierenden Zusammenhang stellen. So ist es heute aus der Sicht mancher Westler nicht mehr statthaft, eine Pro-Israel-Perspektive einzunehmen. Das Leid und die Unterdrückung, das die palästinensischen Araber in den letzten Jahren gegenüber dem hochgerüsteten, überlegenen Nachbarn Israel erdulden musste, habe im Vordergrund zu stehen. Diesem Diktat der öffentlichen Meinung beuge ich mich nicht.

Sechs-Tage-Krieg: Eine Aufarbeitung mit neuem Quellenmaterial aller direkt und indirekt Beteiligten

Michael Oren. Six Days of War. Rosetta Books, 2010. 9 Euro (Kindle-Version).

30 Jahre nach dem entscheidenden Krieg im Nahen Osten machte sich der israelische Historiker und spätere Botschafter Israels in den Vereinigten Staaten (2009-2013) daran, den Konflikt mit einer Rundum-Perspektive und dem Vorteil eines gewissen zeitlichen Abstands aufzuarbeiten. Nicht dass es vorher an Darstellungen und Dokumentationen gefehlt hätte – im Gegenteil. Befehlsausgaben der kriegsführenden Länder sowie der Rückgriff auf amerikanische, russische, europäische und arabische Quellen (Befehlsausgaben, Berichte, Interviews, Zeitungsberichte, Memoiren etc.) sollen für eine ausgewogene Darstellung sorgen. Ich war erst etwas skeptisch, ob dies einem Israeli, der zudem noch als Politiker aktiv ist, gelingen sollte. Dieser nimmt für sich in Anspruch, seine Vorurteile und seinen Standpunkt in den Hintergrund stellen zu können. Tatsächlich wird in den Darstellungen stets reihum auf die verschiedenen Positionen, Perspektiven und Ausgangslagen Bezug genommen. Trotz allem ging es nicht lange (das mag an meinem eigenen Standpunkt liegen), dass ich Partei für die israelische Seite einnahm.

Für die israelische Seite gelingt es Oren sehr gut, die ständige Ambivalenz des Volkes herauszuarbeiten: Auf der einen Seite bestand die ständige Angst vor der Vernichtung. Diese war gekoppelt mit dem Anspruch auf Unbesiegbarkeit. Oren nennt schon am Anfang sein Mitgefühl für die ungeschickten Entscheide der ägyptischen Führer. Dies führt zur zweiten These: Der Krieg wäre u. U. zu vermeiden gewesen. Falschinformationen, Drohgebärden, aber auch die Wortbrüchigkeit der arabischen Verbündeten liessen den Druck ins Unermessliche steigen und die Eskalation beschleunigen. Die penetrante arabische Propaganda, die den Tatsachen direkt widersprach, wurde auf den Strassen nur zu gern aufgenommen. Motive, Chancen und Gefahren, die Willkür vieler Akteure und nicht zuletzt der Einfluss der beiden Supermächte USA und SU liessen die Lage schwer überschaubar werden.