Kolumne: Der augustinische Moment in der Bildung unserer Kinder

Ich bin kein Schulkritiker per se. Das habe ich bereits in meiner Recherche zu "Home Education" deutlich herausgestellt. Nur zu schnell wird der individuellen Bildung in der Familie eine überhöhte, utopische Stellung beigemessen. Man lässt außer Acht, dass nicht alleine die Umgebung von der Sünde verdorben ist, sondern in erster Linie das eigene Herz. Das Grundproblem steckt in uns drin. Wer mehr darüber nachlesen möchte, dem empfehle ich meine Studie "Was hat Sünde mit Lernen zu tun?"

Einige gehen jedoch von der irrigen Annahme aus, dass eine öffentliche Schulbildung prinzipiell "besser" sei. Wer nachfragt, was dieses "besser" qualifiziere, dem werden einige flache Argumente entgegen gehalten: Das Kind werde gemeinschaftsfähig. Ich halte dagegen: Es entwickelt sich tendenziell zum Ja-Sager nach außen und zum Nein-Sager nach innen (dazu meine Kolumne "Was heißt schon sozial?"). Menschenfurcht ist integraler Bestandteil der sozialen Konditionierung. Ich treffe kaum ein beschultes Kind an, das "danke" sagt, höflich im Umgang mit Erwachsenen ist und gute Fragen stellt (dazu siehe meine Kolumne "Warum wollen so viele junge Leute nicht mehr freundlich sein?")

Ich bin erschrocken, wie gedankenlos viele Christen ihre Kinder Tausende von Stunden in einem alternativen religiösen System einspeisen. Noch immer höre ich den unglaublichen Satz – ein säkulares Dogma -, dass Bildung "neutral" sei. Wer die westliche Geistesgeschichte nur in groben Zügen studiert hat, dem wird die Zweiteilung unseres Lebens nicht entgangen sein: Religion besetzt nur noch einen kleinen Flecken unserer Innerlichkeit. Im Extrem bedeutet dies: Übergangsrituale an einigen Lebenswendepunkten (Taufe, Hochzeit, Beerdigung). Bildung und Lernen gehören längst zum öffentlichen Bereich unseres Lebens. Dort regieren angeblich Fakten und Evidenzen. Das ist Teil unserer säkularen Religiosität. Mehr hierzu habe ich im Artikel "Das säkulare Wahrheitsverständnis – die Trennung zwischen Werten und Fakten" geschrieben.

Ich bin der Überzeugung, dass das Elternhaus die entscheidende Größe für die charakterliche Entwicklung der Kinder darstellt (siehe "Eine Mini-Bildungsreform in der Familie"). Höflichkeit und Anstand? Diese werden in der Familie trainiert. Verzichten können, zurückstehen, teilen? Wird mit Eltern und Geschwistern eingeübt. Sich überwinden lernen, dran bleiben, auch wenn es unangenehm ist? Wird in der Familie thematisiert (oder eben nicht). Darum ist für mich die Frage müßig, ob daheim beschulte Kinder überbehütet, sozial kompetent etc. sind. Ich drehe den Spieß um: Wieviele beschulte Kinder sind sozial inkompetent? Wieviele beschulte Kinder werden falsch entlastet, so dass sie als junge Erwachsene selbstverliebt, unsicher, finanziell abhängig sind und kaum den üblichen Widrigkeiten des Erwachsenenlebens Widerstand bieten können? Mehr dazu in "Sie schicken Ihr Kind regulär zur Schule? 15 Fragen".

Einen entscheidenden Unterschied habe ich in den letzten zehn Jahren, in denen ich mich intensiv mit Bildung, Erziehung und Lernen auseinandergesetzt habe, entdeckt: Zu Hause unterrichtete Kinder lernen in aller Regel besser sich selbst zu führen. Sie behalten die Freude und Neugier am Lernen. Sie sehen sich als aktive Lerner. Dagegen sind beschulte Kinder (man zeige mir bitte die Ausnahmen, ich kann sie an einer Hand abzählen) in aller Regel: Dem Lernen entwöhnt, dafür gewohnt, mit kleinen Portionen "gefüttert" zu werden. Die Passivität und der hohe Anteil an Lernverweigerern erschreckt mich. Lernen ist grundsätzlich "sozial geächtet". Freude am Entdecken – wer kennt sie? Ich kenne dafür viele Heranwachsende, die sich über die Werkstattarbeiten und Projekte lustig machen und klammheimlich oder offen die Beteiligung verweigern. Ich höre ständig Schüler, die sich über die Lehrer lustig machen. Sie erzählen sich gegenseitig, wie sie am besten nicht lernen und möglichst schnell wieder vergessen können.

Wenn ich dann in die Schulzimmer blicke, meine ich zu entdecken: Eine inhaltlich eintönige, langsam sich vorwärts bewegende, sich an den Schwächeren anpassende, Mädchen-freundliche, lernunwillige Atmosphäre. Die Klassenraumatmosphäre ist künstlich. Es geht darum, inhaltlich klar abgesteckte Portionen auswendig wiederzugeben. Es geht darum, Blätter auszfüllen, Haken zu bekommen und dann wieder ins "wirkliche Leben" zu entweichen. Prüfungen sind dazu da, Wissen punktuell abzufragen. Wer gut auswendig lernt, sich alte Prüfungen beschafft und möglichst schnell wieder zum Spaß zurückkehren kann, der ist der Held.

In dieser Hinsicht bin ich mittlerweile sehr kulturkritisch eingestellt: Ich glaube, dass diese Haltung für Europa typisch geworden ist. Die Konsumgesellschaft in dritter, vierter Generation hat mit ihrer Mentalität voll durchgeschlagen. Ja, in dieser Hinsicht sind wir verweichlicht und angepasst. Mir scheint die Parallele zur Spätzeit des römischen Kaiserreiches keine zufällige Verbindung zu sein (siehe meine Kolumne "Wir haben viel zu verlieren, weil wir das Wichtigste schon verloren haben"). Dazu passt die kürzliche Schlagzeile, dass die Millenials Wellness liebten.

Genug geklagt. Ich sehe in diesem "augustinischen Moment" eine riesige Chance für die christliche Weltsicht. Nein, ich will nicht die Welt verändern. Das kann allein Christus tun. Er wird zurückkommen, Gericht üben, Gerechtigkeit einrichten und ewig herrschen. Doch wir sind seine "Erstlingsfrucht". Durch die Erlösung in Christus beginnt die Versöhnung und Erneuerung heute in jedem Bereich des Lebens. Das Evangelium ist für das gesamte Leben, wie Rudi Tissen in einem Aufsatz sehr gut dargestellt hat. Null Bock zum Lernen? Das Evangelium hat zu diesem Thema sehr viel zu sagen (siehe mein gleichnamiger Artikel "Null Bock zum Lernen").

Wer weiß, vielleicht wird es in dieser und in den nächsten Generationen Menschen geben, die gegen niedrige Erwartungen rebellieren, Schulen und vielleicht sogar Universitäten gründen. Es wäre zu höffen, dass die Sonne von Gottes Gerechtigkeit über Europa wieder aufgeht!