In den vergangenen Monaten habe ich mich mehrmals deutlich zu Vorgängen im deutschsprachigen Evangelikalismus geäußert. Ich gehe davon aus, dass sich ein Teil dieser weitläufigen Bewegung von ihrem einigenden Zentrum – dem zuverlässigen Wort Gottes und dem stellvertretenden Sühneopfer von Jesus Christus – entfernt und stracks den Kurs der Volkskirchen eingeschlagen hat. Im Beitrag "Der Richtungskampf der Evangelikalen – es geht um das Wesentliche!" zeichne ich nach, wie der spätmoderne Relativismus an den Fundamenten des christlichen Glaubens rüttelt. Dies war gewissermaßen Quittung von zwei Jahrzehnten Konzentration auf Wachstumsmethoden und sträflicher Vernachlässigung der Auslegungspredigt (siehe "Lasst uns niemals mit Lifestyle-Tipps zufrieden sein!"). Die Unterscheidung zwischen Gottes allgemeiner Gunst und seiner rettenden Gnade verlor seine Kontur in psychologisch aufgepeppten, Prediger-zentrierten "Wie-man-besser-leben-kann"-Botschaften (genauer in "Wodurch unterscheiden sich erhaltende Gunst und erlösende Gnade?"). Diese Diagnose darf jedoch keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass Rechtgläubigkeit und Arroganz ebenso zur Erstarrung und Entfernung vom Evangelium führen (siehe "Es gibt einen Punkt, an dem Menschen anderen nicht mehr zuhören – selbst wenn diese recht hätten").
Die geschriebene Dogmatik wurde in den letzten Jahren durch verschiedene romanartige Erzählungen in viele christliche Haushalte verteilt ("Hände weg von diesen vier Büchern!"), was verdeutlicht, dass es keine "dogmenfreien Zonen" gibt (siehe "Das Schreckgespenst des lieblosen Dogmatismus"). Es ist vielmehr die Frage, welche Dogmen unser Denken und Handeln beherrschen. Es sind dies im Wesentlichen
- die Verlagerung von der objektiven Autorität der Bibel hin zur Autorität von einzelnen, einander widersprechenden Interpreten
- eine Überbetonung der Immanenz Gottes zulasten seiner Transzendenz, die ihren Ausdruck in einem entstellten Liebesbegriff findet
- einer Christologie, die Christus eher als Vorbild hinstellt denn als Retter von Sündern und Herr, dem wir Rechenschaft schulden
- einer Lehre des Menschen, welche seine Befähigung und Urteilskraft betont und das Problem in sein Umfeld delegiert
- einer Lehre der Kirche, die den autonomen Konsumenten in seiner emotionalen Bedürftigkeit in den Mittelpunkt stellt
- einer Seelsorge, die das Wohlbefinden und die Stimmigkeit mit sich selbst zum Referenzpunkt erhebt
Kaum einer verkörpert diese neue alte Theologie so klar und fertig gedacht wie Torsten Hebel. Er verließ das lächerliche Schwimmbecken der Frommen und bewegt sich nun als Freischwimmer in der offenen See. Ron Kubsch hat die Theologie haarscharf umrissen:
Er vertritt einen außerordentlich hochmütigen Ansatz. Zunächst einmal wirft er Gott vor, er sich hätte klarer ausdrücken müssen. Er konfrontiert ebenso 2000 Jahre Christentum mit der Anklage, die Gläubigen hätten sich nicht gründlich mit kritischen Anfragen und Zweifeln auseinandergesetzt. Dann kommt das uralte Relativismusargument. Kurz: Gott mag die Wahrheit sein, aber wir können ihn nicht verstehen.
Dann kommt eine rhetorische Wendung, die in den heutigen Debatten oft zu beobachten ist. Er setzt sich selbst auf den Thron und bietet uns die göttliche Perspektive an. Kurz: So und so ist es! Zum Beispiel:Theologie sei zu 80 Prozent Biographie.
- Gott ist nicht personal, sondern etwas außer mir und in mir.
- Zu behaupten, Jesus sei Mensch und zugleich Gott, sei unlogisch.
- Der Weg ist das Ziel.
- Den Begriff Gott haben wir Menschen erfunden.
- Gott ist uns näher, als wir glauben bzw. es gibt da kein Sündenproblem.
- Freiheit bedeutet Abwesenheit von Grenzen.
Interessant dabei ist. Torsten erhebt den Anspruch, dies seien nicht nur seine Wahrheiten, sondern es handele sich um befreiende Einsichten, die er jetzt zum Wohle der Menschheit (und vor allem zu therapeutischen Zwecken für die verklemmten Frommen) missionarisch verbreiten müsse.
Es bereitet mir keine Freude, solche Beiträge zu schreiben. Ich sage mit Nachdruck: Ein solcher Glaube ist frisch aufgewärmter, theologischer Liberalismus. Noch deutlicher: Es handelt sich um alte Irrlehre in zeitgemäßer Verpackung. Diese führt in die Wüste, denn sie wirft den Menschen auf sich selbst zurück.
P. S. Wer bemerken sollte, dass er "ausge-hebel-t" worden ist, soll sich die beiden Analysen von Holger Lahayne "Abgedriftet" und "Wenn's um die Wahrheit geht" vornehmen.