J. I. Packer in seinem berühmten Vorwort des 1959 neu aufgelegten Klassikers Leben durch seinen Tod von John Owen. Es ist brandaktuell.
Zweifellos befindet sich der Evangelikalismus heute in einem Zustand der Verwirrung und der Verunsicherung. In Fragen wie der Praxis des Evangelisierens, der Unterweisung in der Heiligung, der Seelsorge und der Ausübung von Gemeindezucht gibt es Anzeichen für eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen- Zustand und eine ebenso weitverbreitete Ungewißheit, was den Weg in die Zukunft betrifft. Dies ist ein komplexes Problem, zu dem viele Faktoren beigetragen haben; doch wenn wir auf seine Wurzeln zurückgehen, werden wir finden, daß diese Verunsicherungen nur daraus entstehen, daß wir das biblische Evangelium aus dem Blick verloren haben. Ohne es zu merken, haben wir während des letzten Jahrhunderts dieses Evangelium für ein Ersatzprodukt eingetauscht, das, wenn es auch in Einzelheiten sehr ähnlich aussieht, dennoch in seiner Gesamtheit etwas völlig anderes ist. Daher stammen unsere Probleme; denn das Ersatzprodukt ist untauglich hinsichtlich der Ziele, für die sich das echte Evangelium in vergangenen Zeiten als so mächtig erwiesen hat. Das neue Evangelium versäumt es auf bemerkenswerte Weise, tiefe Ehrfurcht und Reue, echte Demut, einen Geist der Anbetung und herzliche Anteilnahme am Wohl der Gemeinde hervorzubringen. Und warum? Ich behaupte, die Ursache hierfür liegt in seinem eigentlichen Wesen und Inhalt. Es kann die Menschen nicht dazu bringen, daß sie Gott im Mittelpunkt ihres Denkens und die Furcht Gottes in ihren Herzen haben. Das ist auch gar nicht sein eigentliches Anliegen. Man kann sagen, es unterscheidet sich von dem alten Evangelium dadurch, daß es ausschließlich darum bemüht ist, dem Menschen „dienlich“ zu sein – ihm Frieden, Trost, Freude und Erfüllung zu bringen – und zu wenig daran interessiert ist, Gott zu verherrlichen. Das alte Evangelium war auch dem Menschen „dienlich“ – ja, mehr noch als das neue -, doch sozusagen eher beiläufig, denn sein primäres Anliegen war es, Gott Ehre zu bringen. Es war immer und wesentlich eine Verkündigung göttlicher Souveränität – in der Barmherzigkeit und im Gericht; ein Aufruf, sich zu beugen und den mächtigen Herrn anzubeten, von dem der Mensch in allen Dingen abhängig ist, sei es in der natürlichen Versorgung oder in der Gnade. Sein eindeutiger Bezugspunkt war Gott. Aber in dem neuen Evangelium ist der Bezugspunkt der Mensch. Das alte Evangelium war auf eine Weise religiös, wie es das neue Evangelium nicht ist.
Während es das Hauptziel des alten war, die Menschen Gottes Wege zu lehren, so scheint das Anliegen des neuen darauf beschränkt zu sein, ihr Wohlbefinden zu fördern. Das Thema des alten Evangeliums waren Gott und seine Wege mit den Menschen; das Thema des neuen sind der Mensch und die Hilfe, die Gott ihm gibt. Das ist ein großer Unterschied. Ausblick und Schwerpunkt der Evangeliumspredigt haben sich grundlegend gewandelt.
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