Kolumne: Umstände ändern unser Herz nicht

Immer wieder, wenn ich das Alte Testament lese, lege ich die Bibel zur Seite, schüttle den Kopf und sage mir: „Warum haben die Menschen in dieser Situation nicht zuerst Gott gefragt und die Hilfe bei ihm gesucht? Es wäre doch so viel besser gekommen.“ Das Paradebeispiel stellt für mich David dar, der im Kampf gegen die Erzfeinde der Philister vor dem Angriff bei Gott Schutz suchte. Dieser zeigte ihm, wie er ihnen siegreich begegnen konnte. Dann griffen sie ein zweites Mal an. Wiederum vertraute er sich Gott an. Das zweite Mal zeigte dieser ihm einen anderen Weg. Das ist ein positives Beispiel: David suchte zweimal wiederholt Gottes Hilfe.

In der späteren Geschichte Israels wurde deutlich, dass das Volk wegen seiner Sünde in Not geriet. Da gab es den gottlosen König Ahab, der es schlimmer trieb als alle seine Vorgänger. Als dann der Prophet Elia dem Volk den Bundesfluch verkündigte, nämlich dass es keinen Regen geben würde, suchte Ahab voller Wut die Schuld beim Propheten. Er warf ihm vor, dass er das Volk ins Unglück gestürzt habe. Was für eine Verkehrung der Verhältnisse! Dies ist ein negatives Beispiel. Ahab delegierte seine Sünde an den Propheten und musste sich dadurch nicht verändern.

Im Lauf der Geschichte Israels wechselten die starken Machthaber in der Region: Einmal waren es die Syrer, später die Assyrer, dann wieder die Ägypter und Babylonier. Das Volk machte all diese Bewegungen mit. König Ahas sticht in dieser Hinsicht heraus. Er schickte seinen Priester nach Damaskus und liess ihn eine genaue Skizze des Altars dieser Stadt anfertigen und einen identischen Altar bei sich in Jerusalem errichten. Der Prophet Jeremia rief deswegen aus: Ein normales Volk behält seine Götzen, ihr Israeliten wechselt eure Götzen jedoch wie ein Kleid. Dies ist nochmals ein negatives Beispiel: Israel wählte sich seine Hilfe jeweils dort, wo es sich die schnellste Linderung versprach.

Ich kann mich gut an die Situation erinnern, als unser drittes Kind auf die Welt kam. Gott schenkte uns damals eine Frau aus Rumänien, die uns in den ersten Wochen zur Seite stand. Die wichtigste Lektion war jedoch nicht die, wie wir besser kochen und putzen konnten (davon haben wir auch einiges übernommen und gelernt). Sie sprach uns auf eine grundsätzliche Schwierigkeit in unseren reichen westeuropäischen Ländern an. Sie formulierte sich etwa so: „Ihr könnt nicht so denken, wie ich denke. Ihr erzieht eure Kinder falsch.“ Sie beschrieb das, was die Psychotherapie als „Rollenumkehr“ bezeichnen würde. Wir begeben uns unter das Kind, indem wir ihnen die Entscheidungen delegieren. Das Kind lernt dadurch von klein auf ungehorsam zu sein. Viele Heranwachsende bleiben dadurch weit unter ihren Möglichkeiten.

Wir können dieses Grundproblem erfolgreich kaschieren – mit unserem Wohlstand. Wir geben unseren selbstsüchtigen Wünschen nach. Wir bezahlen bereitwillig Nachhilfe und Privatschulen für das Kind, wenn es das Lernen verweigert. Wir ermöglichen Urlaubsdestinationen, um von der familieninternen Leere abzulenken. Wir bauen grössere Häuser, kaufen bessere Autos und denken, dass dies unser Loch stopfen würde. Wir betreiben das, was einer meiner beruflichen Lehrmeister als „mehr desselben“ bezeichnete. Wir drehen unser Götterkarussell, um von unserem wahren Problem abzulenken.

Die Aussage unserer Haushalthilfe trieb uns damals auf die Knie. Wir erkannten, dass wir uns auf eine langfristig schädliche Art dem Denken und Handeln unserer Umgebung angepasst hatten. Wir beteten um Menschen, die uns darin anleiteten, unser stark von der säkularen Umgebung geprägte Denkweise für das Familienleben und die Erziehung zu verändern. Gott gab uns verschiedene Vorbilder und führte uns zu Literatur, die unser Denken und mit der Zeit auch unser Handeln zu verändern begannen. Meine schriftliche Dokumentation hunderter Situationen in der Familie ist eine Frucht dieses Veränderungsprozesses. Von mir aus hätte ich diesen nicht angestossen.

Meine Frau las in dieser Zeit verschiedene Bücher von Johanna Spyri. Sie lernte durch diese Berichte, wie Menschen früher keine andere Möglichkeit besassen, als durch die Not hindurch zu gehen. Sie mussten in sehr schwierigen Lebensbedingungen aushalten. Es gab keine materielle Erleichterung. Sie entdeckte dies als neue Lebensweise: In der Not geduldig auszuhalten, den allmächtigen Gott um Hilfe anzuflehen und bei ihm Zuflucht zu suchen. Die Umstände türmten sich haushoch und unüberwindlich vor ihr auf. Doch sie lernte im Alltag, diese Mauern mit Gott zu überspringen und ohne Linderung trotzdem Raum zu bekommen. Gott schickte zur richtigen Zeit Menschen und Material. Er gab vor allem die Kraft auszuhalten. Er schenkte neue Ideen, wie das Leben noch anders gestaltet werden kann.

Vielleicht steckst du zurzeit in einer ähnlichen Situation. Du denkst von deinen Möglichkeiten aus, wie du dir Linderung verschaffen kannst. Gott schenkt dir die Sehnsucht, durch diese unangenehme Situation zu wachsen. Möchtest du von der anderen Zielsetzung her zu denken beginnen? Was möchte Gott dir lehren? Welche Überlegungen, Gewohnheiten müssen über Bord geworfen werden? Unser ältester Sohn durchlief diesbezüglich eine sehr heilsame Erfahrung. Er war immer der Meinung, dass ein reicher Gönner ihm schon helfen würde, wenn er in Problemen steckte. Voller Zuversicht vertraute er in einer Situation der Not auf diese Vorstellung. Die Hilfe traf – Gott sei Dank – nicht ein. Das trieb ihn, für uns Eltern sichtbar, zu Gott. Dieser öffnete ihm ganz andere Wege, die weder er noch wir uns damals hätten vorstellen können.

Fazit: Wir werden von unserer säkularen Umgebung angehalten an unsere Möglichkeiten und unser Material zu glauben. Wir bilden uns ein, es würde unser Joch leichter machen. Doch das, was wir wirklich brauchen, ist die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, nicht die Reduktion der Arbeitslast des Ziegelbrennens. Zu oft ähnelt unser Denken dem von Jona. Ihm tat es leid, dass die Staude über seinem Kopf verdorrte und er nicht mehr im Schatten sitzen konnte. Das Schicksal hunderttausender Menschen war ihm egal.

Wir haben als Familie in den letzten Jahren manche Engpässe erlebt. Ich bin überzeugt, dass uns weitere bevorstehen. Wir werden nicht mit dem Finger schnippen können. Es wird immer wieder Zeiten geben, in denen wir denken: „Wir wollen auch so sein wie die anderen.“ „Warum werden wir nicht berücksichtigt?“ Doch das Vertrauen steigt: Gott wird uns zur rechten Zeit versorgen. Viele Dinge werden suboptimal bleiben. Wir werden sie mit Gottes Hilfe Tag für Tag, Stunde für Stunde aushalten können. Durch seine Gnade schweissen sie uns als Ehepaar und als Familie zusammen. Darum lautet mein Gebet: „Stärke mein Verlangen nach dir. Alles andere wird sich daraus ergeben.“