Vor einigen Tagen ist das Buch "Wo bitte geht´s nach Stanford?: Wie Eltern die Leistungsbereitschaft ihrer Kinder fördern können" von Isabelle Liegl und Dr. Albert Wunsch im Beltz-Verlag erschienen. Meine Rezension:
Für eilige Leser
Dies ist ein zweiteiliges Buch. Im ersten Teil beschreibt die Münchner Unternehmerin Isabelle Liegl den Weg ihrer beiden Söhne an eine US-amerikanische Eliteuniversität. Sie beginnt dabei ganz vorne beim Bildungsweg. Im zweiten Teil beschreibt der erfahrene Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch die Gratwanderung zwischen Unter- und Überforderung.
Die Leseerfahrung
Es heisst zuerst: Vorurteile ablegen. Wir sind durch den Bildungssozialismus (die Utopie der gleichen Chancen, die Dogmen der Gemeinschaftserziehung etc.) so geprägt, dass es uns seltsam anmutet, ein Buch über gezielte Leistungsförderung zu lesen. Zudem halten wir Eltern gerne gegen den Förderwahn, um uns selbst zu entlasten.
Ebenso heisst es aus dem Schlechtes-Gewissen- oder Neid-Modus auszusteigen. Wir müssen es nicht „schaffen“, das heisst eine Latte von anderen Menschen an uns selbst legen. Viel wichtiger ist die Frage: Wie können wir von anderen lernen? Was ist ein gesunder nächster Schritt – zum Wohl unserer Kinder?
Drittens gilt es auch Abschied zu nehmen von der politisch-korrekten Amerikafeindlichkeit unserer Breitengrade. Das versperrt uns den Blick auf interessante Modelle und ungewohnte Vorgehensweisen.
Nachdem ich diese drei Schritte bewusst durchlaufen habe, konnte ich mich dem Buch mit Freude nähern.
Beim Vorwort hat es mich schon gepackt
„Da ist offenbar eine extrem ehrgeizige Mutter bei ihren verwöhnten Sprösslingen zu Besuch gewesen, die die letzten Jahre damit verbracht hat, ihre Kinder auf Höchstleistungen zu drillen. Doch so einfach ist es nicht – vor allem ist es falsch. … Für mich ist der Werdegang meiner Kinder eher ein Beweis dafür, wie es gehen kann, wenn manche Phasen im Leben ein bisschen anders gestaltet sind, sei es generell während der Kindheit oder speziell in Kindergarten und Schule und dann vor allem in der wichtigen Zeit vor dem Schulabschluss.“
Wie hat das Buch meine Perspektive verändert?
Dies sind fünf Lernpunkte:
• Blicke punkto Erziehung und Bildung nicht nur nach „innen“, das heisst auf die Vergleichsgruppe der Eltern aus deinem Verwandten- und Freundeskreis. Vergleiche nicht nur mit den Angeboten deiner Stadt und deines Landes. Blicke auch und gerade in die angelsächsische Welt.
• Was kann unsere Kinder über- und unterfordern? Mit dieser Frage im Hinterkopf trug ich zusammen: Wenn wir Signale unserer Kinder (wie zum Beispiel inhaltliche Unterforderung im Kindergarten) übersehen; unsere Kinder in der Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen alleine lassen; wichtige und nachrangige Dinge miteinander verwechseln (also bei Kleinigkeiten meckern und wichtigen Herausforderungen tatenlos zusehen); wenn wir unseren Kindern und uns erlauben, Abmachungen nicht einzuhalten – aus Trägheit.
• Es ist wichtig, frühzeitig die Weichen zu stellen. Bezogen auf das Heranwachsen der Kinder bedeutet dies: Enge charakterliche Begleitung in den Zeiten des körperlichen Umbruchs mit 14-16 Jahren; frühzeitige Auseinandersetzung mit der Zeit danach (eine Bewerbung und Vorbereitung für eine ausländische Universität braucht Vorlauf und viel Übung).
• Begleite das Kind in Zeiten der Weichenstellungen. Es kann sich nicht überall „selbst helfen“. Die Ausbildung optimal zu gestalten und neue Ziele ausdauernd in Angriff zu nehmen, fordert uns Eltern auf der ganzen Linie.
• Vernetze dich. Dieses Buch ermutigte mich, (weiterhin) furchtlos Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die ungewohnte Projekte in Angriff genommen haben.
Fazit
Eine gesunde Bindung ab Geburt ist wichtiger Faktor für eine gesunde Entwicklung. Die Eltern können die Bildung delegieren, die Verantwortung dafür jedoch nicht. Ein gut angeleitetes Kind ist imstande Erstaunliches zu leisten, erst recht ein Heranwachsender. Nicht zuletzt: Am Geld muss es nicht scheitern.
Ein Freund von mir sagt: „Verbinde eine grosse Vision mit kleinen Schritten.“ Das gilt auch für unseren Einsatz für die Bildung der nächsten Generation. Welche Ideen entstehen durch das Lesen? Wie kann das Kind seine Begabung entwickeln, Fleiss, Selbstbeherrschung und Ausdauer trainieren? Dann gilt es den nächsten Schritt zu tun. Der beginnt – bei uns Eltern, wo sonst? Mein 14-jähriger Sohn hat mich schon gefragt: Kann ich dieses Buch auch lesen? Nur zu!
Mit dem renommierten Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch führte ich zudem ein Interview.
1. Eine Münchner Unternehmerin schildert den Weg ihrer beiden Söhne an eine US-amerikanische Eliteuniversität. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ihnen?
Ein Verlagsmakler kooperierte wegen einer möglichen Veröffentlichung der Gedanken von Frau Liegl mit dem Beltz Verlag. Dabei entstand die Einschätzung, dass die wichtigen Erfahrungen von Frau Liegl eine fachliche Untermauerung benötigen würden, um so zu einer breiteren Material-Basis zu gelangen. Und dann kamen Verlags-Manager, Verlag und die Autorin gleichermaßen zu der Einschätzung, dass ich dazu ihr Ideal-Partner sei. Nach der Durchsicht der Aufzeichnungen von Frau Liegl und einem gemeinsamen Treffen in Frankfurt am Main sagte ich zu diesem Vorhaben ja.
2. Durch das Lesen bekam ich den Eindruck, dass Unter- und Überforderung unserer Kinder eng zusammenhängen. Würden Sie dies bestätigen? Wie beschreiben Sie den Zusammenhang?
Wenn ein Kind kaum – meist aus Angst, Bequemlichkeit oder Zeitmangel – die Chance hat, sich umfangreich in das Leben einzubringen und ergänzend auch nicht dazu herausgefordert wird, können keine Selbstwirksamkeits-Erfahrungen gemacht werden. So wird die Entdeckungs-Freude und das Ausprobieren-Wollen von Kindern verhindert. Gleichzeitig werden wichtige Erfolgs-Erfahrungen aufgrund des eigenen Tuns vereitelt. Wenn die Kindheit also durch zu viele Verhinderer bzw. Weichmacher – ‚ich mach das schon für dich’, ‚das kannst du noch nicht’, ‚nein, das ist zu gefährlich’ – geprägt wurde, werden die ganz normale Aufgaben des Lebensalltags schnell als zu hart empfunden. Meine Kern-These: "Wer früh unterfordert wird, ist später oft tatsächlich überfordert."
3. Was raten Sie Eltern und Heranwachsenden, deren Begabungen an einem ganz anderen Ort liegen?
Für das Erkunden von Begabungen ist viel Un-Voreingenommenheit und Hin-Horchen notwendig. Zu oft spiegeln angenommene Neigungen oder Begabungen die elterlichen Erwartungen oder ein zufälliges Interesse wider. Wenn also Begabungen gut überprüft und einem Ausprobier-Vortest unterzogen wurden, werde sich alle Beteiligten in einer Mischung aus Zutrauen, Ermutigung und Erfolgs-Hoffung auf die dann notwendigen Schritte konzentrieren. Und dann spielen die Wegstrecke, mögliche Hürden und der Ort zur Umsetzung eine untergeordnete Rolle.
4. Wo sehen Sie den grössten "blinden Fleck" bei der heutigen Erziehung?
Das zuviele Eltern ihr Tun unter Einbeziehung wichtiger Informationen zuwenig reflektieren. So werden Hinweise von KiTa-Fachkräften ignoriert oder als Einmischung zurückgewiesen, Fachvorträge gemieden und bei Konflikten im Zusammenhang der eigenen Kinder das Umfeld als Auslöser dargestellt. Dass die eigenen Voraussetzungen für die Erziehungsaufgabe in einer pluralen und globalen Welt zu gering sein könnten, passt dann nicht das eigene Denk- und Verhaltens-Schema.
Hinweis: Wunschs Klassiker "Die Verwöhnungsfalle" habe ich ebenso wie sein Buch über Resilienz "Mit mehr Selbst zum stabilen ICH!: Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung" rezensiert.