Os Guinness. A Free People's Suicide. (2014)
Es geht um ein Problem unter der Oberfläche, das hinter zahlreichen anderen Ereignissen unserer Republik (Guinness spricht in den USA) steht. Augustinus sagte schon: Wenn du beurteilen willst, wie es um eine Nation bestellt ist, dann blicke darauf, was ein Volk am meisten liebt. Wenn diese Liebe nobel ist, dann ist es um ihre Gesundheit gut bestellt. Für die USA betrifft dies seit der Gründungszeit ihre Freiheit. Die Gesundheit dieses Staates kann also am Status seiner Freiheit gemessen werden. Viele der Gründerväter waren beseelt von der Idee, eine freie Gesellschaft zu gründen, die für immer frei bleiben würde. Was kann also Freiheit erhalten bleiben?
Der erste Akt dieser Freiheit war die Unabhängigkeit (1776), der zweite, dieser Freiheit einen Rahmen zu geben: Die Verfassung (1778). Freiheit muss geordnet werden. Die Russen und Chinesen taten dies nicht, und die Freiheit entfaltete ihre dämonische Seite. Die dritte Aufgabe ist die härteste: Die Freiheit zu erhalten. Der 28-jährige Lincoln hielt die berühmte Rede „The Perpetuation of Our Political Institutions“ – erstaunlich für sein Alter. Die Nation ist frei und mächtig geworden und hält seine Freiheit für selbstverständlich.
Die Klassiker – Cicero und Polybius – hatten ein klares Verständnis davon, was eine freie Gesellschaft bedroht: Eine externe Bedrohung. Die zweite Bedrohung ist viel subtiler: Die Verderbnis der Gewohnheiten. Die dritte: Zeit. Frische Dinge vergehen und werden Routine. Edward Gibbon antwortete auf seine selbst aufgeworfene Frage, warum Rom fiel, zuerst: Durch die Wunden der Zeit. Wer nimmt diese drei Bedrohungen heute ernst?
Es gilt das Paradoxon: Der grösste Feind der Freiheit ist Freiheit. Keine freie Gesellschaft hatte je dauerhaften Bestand. Freiheit benötigt nicht nur den Schutz durch Gesetze, sondern setzt den Geist der Freiheit voraus. Freiheit ist zutiefst moralisch. Sie setzt zuerst Ordnung voraus. Diese beginnt bei der Selbstbeschränkung. Freiheit besteht nicht darin das zu tun, was man will, sondern das, was man sollte.
Die drei Beine der Freiheit:
a) Freiheit setzt Tugend voraus. Etymologisch kommt Tugend vom Wort „Mut“ und schliesst alles ein, was Charakter betrifft. Zum Beispiel verstehen die Bewohner die Aufgaben der Bürgerschaft. Der Charakter eines Führers ist deshalb so entscheidend, weil die Geführten ihm auch dann vertrauen können, wenn sie nicht genau wissen, was er tut. Beispiel aus dem Clinton-Impeachment: Charakter zähle nicht, nur Kompetenz.
b) Tugend setzt eine Art des Glaubens voraus.
c) Glauben setzt Freiheit voraus, und damit ist die Kette vollständig.
Wie ist die Entwicklung des Westens unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten? Glaube wurde im 19. Jahrhundert schrittweise privatisiert und galt fortan als öffentlich irrelevant. Dazu gesellte sich im 20. Jh. der Prozeduralismus: Der öffentliche Raum sei eine neutrale Arena von miteinander im Wettbewerb stehenden Interessen. Also kein Platz für Glaube und Tugend im öffentlichen Raum. Komplettiert wird es durch den postmodernistischen Leitsatz, dass keine Wahrheit existiert, sondern alles durch eine Agenda der Macht motiviert sei.
Was sind aktuelle Bedrohungen der Freiheit?
1. Die Entfremdung der Führer. Keine Nation kann langfristig überleben, wenn eine Anzahl ihrer Führer das ignoriert, was die Nation ausmacht.
2. Der Zusammenbruch in der Weitergabe von Werten. Dies geschieht durch Ausbildung und Immigration.
3. Die Verderbnis der Gewohnheiten (corruption of customs). Das jüdisch-christliche Erbe wurde schrittweise abgelöst. Wahre Freiheit ist immer auch Freiheit zu etwas hin. Die zeitgenössische Vorstellung ist hauptsächlich permissiv und darum nicht nachhaltig.
Was ist nötig für einen Umschwung? Zuallererst ist Leadership gefragt. Welcher Führer verkörpert die Vision der Freiheit? Auf diese Frage bekommt Guinness keine Antwort. Zweitens benötigen wir eine Wiederherstellung von civic education. Es braucht Unterricht der Amerikaner für die nächste Generation von Amerikanern. Es braucht Erziehung zur Freiheit.
Die Gründerväter hatten eine klare Vorstellung von Wiederherstellung. A) Was den Juden Exodus war, den Puritanern die Bekehrung, war für den Staat die Revolution als Grundlage für die Bildung des Volkes. B) Was den Juden und den Puritanern der Bund war, fasste für den Staat die Verfassung, ein bindendes Übereinkommen. C) Was die Juden Rückkehr nannten, bezeichneten die Puritaner als Erweckung (revival), kann auf der staatlichen Ebene die Rückkehr zu den ersten grossen Prinzipien beschrieben werden. Es ist in der Verantwortung jeder neuen Generation, dorthin zurückzukehren.