Vortrag: Was ist der Zweck meines Lebens?

Os Guinness. What is My Purpose?

Lebenszweck in der Schnittblumen-Gesellschaft

Ich liebe Kirchen, welche die grossen Fragen stellen und sich ihnen stellen. Meaning (Bedeutung), purpose (Zweck), identity (Identität) sind drei Dinge, die jedermann benötigt, über die sich jedoch die wenigsten tiefere Gedanken machen.

Eine aktuelle Lebensphilosophie schreibt vor: YOLO – you only live once. Dostojewski meinte: Wir wollen nicht nur leben, sondern für etwas Bestimmtes leben. Kierkegaard: Ich möchte den Grund entdecken, weshalb ich lebe und sterbe. Die Verwirrung ist gross, weil die USA eine „cutflower“-Zivilsation geworden ist: Abgeschnitten von ihren Wurzeln.

Drei Antworten

Die verschiedenen Weltanschauungen geben unterschiedliche Antworten. Es gibt drei Antwortfamilien:

  1. Philosophie des Ostens: Unpersönlicher Grund des Seins; zum Zweck des Lebens behaupten sie: „Vergiss es!“ Diese Welt ist Illusion. Du stirbst und kommst wieder zurück. Es geht um Befreiung von der Individualität.
  2. Säkularismus (Atheisten, Agnostiker, Naturalisten): „Do it yourself!“ Alles entstammt dem Zufall. Bedeutung ist nicht etwas zu entdecken, sondern musst du dir selbst geben.
  3. Biblische Antwort: Jeder ist einzigartig im Ebenbild Gottes geschaffen und wächst in das hinein, was er sein sollte – Schöpfung und Berufung.

Die Bedeutung von Berufung

Die Berufung steht im Zentrum der Heilsgeschichte. Gott erwählte einen Einzelnen, eine Familie, einen Stamm, eine Nation. Sie steht auch im Zentrum des Evangeliums. Jesus rief Nachfolger: „Folge mir nach.“ Sie folgten drei Jahre, bis sie richtig verstanden, wer Er wirklich war.

Ein Gleichnis beeinflusste die Reformation und damit auch die Geschichte der letzten Jahrhunderte des Westens mit, den Aufstieg des Kapitalismus, des Wertes der Arbeit und der Demokratie. Es geht um das Gleichnis der Talente. Es existieren zwei Varianten, die des Lukas und die des Matthäus. Was ist das Herz dieses Gleichnisses?

  1. Berufung bedeutet Dienst. Die Talente wurden Sklaven gegeben, also den sozial Niedrigsten. In einer Konsumgesellschaft dreht sich alles um uns. Es geht in erster Linie um Ihn, und wir sind Diener. Beispiel: Heute redet man von WORSHIP EXPERIENCE. In der Bibel heisst dies ganz einfach Dienst (wovon auch unser Wort Liturgie stammt). Es geht nämlich um Ihn.
  2. Berufung bedeutet Haushalterschaft. In der griechischen Kultur schaute man zu seinem eigenen Clan. Man kümmerte sich um seinesgleichen. In der römischen Kultur gehörten dem Vater sogar seine Kinder. Im Christentum gehört alles dem Herrn! Es ist uns anvertraut.
  3. Berufung bedeutet Unternehmertum. Die Sklaven sind auf sich selbst gestellt – keine Instruktion, keine Überwachung. Es war ihnen überlassen, es gewinnbringend einzusetzen. Es braucht eine Vision und Risikobereitschaft.
  4. Berufung bedeutet Rechenschaft. Eines Tages wird der Herr fragen, was wir mit dem Anvertrauten angefangen haben. Jeder erwartet, dass ein Pastor oder ein Missionar berufen ist. Wir alle sind aber berufen! Mit welchen Begabungen bist du geboren worden? Mit welchen Ressourcen ausgestattet (Familie, Ausbildung, Nation)? Welches ist dein Einflussbereich (Familie, Nachbarschaft)? Nimm diese zusammen – das sind deine Pfunde!

So sollten wir über den Zweck unseres Lebens denken. (Gesellschaftlich wirkte sich das in einer rasanten technischen und wirtschaftlichen Entwicklung nieder.)