Interview: Ranald Macauley über Francis Schaeffer

Ranald Macauley hat in einem einstündigen Gespräch mit Bruce A. Little anlässlich einer Konferenz zu Schaeffer über dessen Wirkung diskutiert. Ich habe die elf Fragen bzw. Diskussionspunkte stichwortartig zusammengefasst.

  1. Erstes Konzept von Schaeffer: Wahre Wahrheit (true truth); auch nachdem ich Christ geworden bin, fürchtete ich den Drachen – dass am Ende etwas auftaucht, was den Glauben zerstört. Die Kirche war sehr schwach darin, sich dem Plausibilitätsproblem zu stellen, das der christliche Glaube hatte.
  2. Bruce Little: Nachdem ich zum Glauben gekommen war, dachte ich zunächst, dass der Verstand keine Rolle darin spielte. (Macauley) Für Schaeffer war Wahrheit nicht nur objektiv wahr im Sinne einer philosophischen Aussage. Sie bewahrheitet sich in der Lebenswirklichkeit. Manche haben die erste Aussage (objektive Wahrheit) von der zweiten losgekoppelt: Der Frage nach dem wahren geistlichen Leben! Oft geschah dies unabsichtlich.
  3. (Little) Ein anderer Gedankengang, der frischen Wind für meine Seele mitbrachte, war die Betonung der Ausgewogenheit von Heiligkeit und Liebe. (Macauley; indirekt antwortend) Die Gründungsphase war eine enorm schwierige Zeit. Franky, der Jüngste, hatte Polio, Susan war ebenfalls gesundheitlich angeschlagen. Als ich dort ankam, stellte ich fest: Das war einfach eine Familie; da stand keine Organisation da! Wir sassen am Feuer im Wohnzimmer. Ich half bei vielen alltäglichen Dingen mit. Langsam wuchs dann das Werk. Ein bedeutender Schritt geschah dann, als sie mich baten, bei ihnen zu bleiben und zu studieren. Eine tägliche Studienzeit von vier Stunden (flexibel und individuell angepasst) sowie ein Tutorial-System gehörten dazu.
  4. (Little) Welches Buch Schaeffers war am einflussreichsten? (Macauley) Es sind die Bücher, in denen er die Sache nach der „wahren Wahrheit“ thematisierte. Die Vorträge aus „Preisgabe der Vernunft“ wiederholte er an manchen Orten, meistens in privatem Rahmen. In Schaeffers Gedanken war jedoch „Was ist geistliches Leben?“ das wichtigste Buch.
  5. (Little) Weshalb reisten so viele junge Erwachsene an? (Macauley) Es war Schaeffers stets ein zentrales Anliegen, dass das Werk Gottes Sache blieb und dass es durch seine Kraft bestand. Sie warben nicht um Geld noch um Besucher oder Personal, noch hatten sie einen Plan. Das tönt sehr fromm und fremdartig. Doch gerade angesichts des Plausibilitätsproblems des christlichen Glaubens erachteten sie es als wichtig, dass Gebet die wesentliche Kraft des Christen ist. So beteten sie um Geld, Besucher und Mitarbeiter. Die Leute kamen durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Sie merkten, dass es sich um etwas Solides und Ernsthaftes handelte.
  6. (Little) Wie stand es um den Kampf Schaeffer in Kreisen der US-Presbyterianer? (Macauley) Schaeffer hatte sich vor dem Start von l’Abri von den Hardlinern gelöst. Seine Gedanken zu „True Spirituality“ lösten zwar starke Reaktionen aus. Die Mehrheit der Gemeinden erkannte jedoch sofort die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Die gesamte Denomination wurde in einer guten Weise von diesen Inhalten beeinflusst.
  7. (Little) Heute sind die jungen Evangelikalen wenig mit Schaeffer vertraut. Was können wir heute von ihm lernen, besonders für das Leben der Kirche? (Macauley) Er hat uns viel zur Integrität und Glaubwürdigkeit des Evangeliums zu sagen. Zu schnell wechselt die „zweibeinige“ Aktion von Verkündigung und Überzeugung zur „einbeinigen“: Nur der Verkündigung. Schaeffer betonte: „Kirchen dürfen nicht zu Predigt-Tankstellen werden.“ Du gehst nicht zur Kirche, sondern du lebst in einer Gemeinschaft. Die Kultur hat Gemeinschaft fast vollständig zerstört. Gerade die junge Generation sehnt sich nach Echtheit, nicht nur nach etwas, was spassig und unterhaltsam ist.
  8. (Little) Ich erinnere mich an eine Begebenheit drei Wochen vor Schaffers Tod. Ein junger Teilnehmer einer Veranstaltung fragte, ob es für die geschlagene Kirche doch noch eine Chance gebe zu gewinnen. Schaeffer Antwort: „Wir gewinnen nicht. Wir folgen dem Auftrag des auferstandenen Herrn.“ (Macauley) Sobald eine Kirche in die Falle des „noch-grösser-Werdens“ und die Spirale des Erfolgs gerät, wird es enorm gefährlich.
  9. (Little) Schaeffer rief Paige Patterson mehrmals an und bat ihn, den Kampf um die Autorität der Bibel, die innerhalb der Southern Baptists tobte, nicht aufzugeben. (Themenwechsel) Es gibt viel Gerede um Franky Schaeffers Buch „Crazy for God“. (Macauley) Da geht es um eine Familiensache, ich äussere mich da ausserordentlich vorsichtig. Schon als Franky sieben Jahre alt geworden war, waren Susan und ich uns bewusst, was sich da abzeichnen könnte. Wir versuchten soweit es ging zu kompensieren. Selbst den krassesten Dingen, die Franky über die Evangelikalen in Bezug auf „Erfolg“ schreibt, kann ich zustimmen. Ich fand sein Buch jedoch weder als angenehm noch als hilfreich. Franky liebte seine Mutter und seinen Vater und hatte eine gute Beziehung zu ihnen. Er versuchte Aspekte zu beschreiben, um zu einer grösseren Echtheit zu gelangen – zum Beispiel, was den Celebrity-Kult betrifft. Sein Buch erweckt den Eindruck, als ob Schaeffer nicht echt gewesen sei. Das trifft nicht zu. (Little) In einer Sendung wurde Franky gefragt, was er von seinem Vater gelernt habe. Antwort: Seine Fähigkeit die Kultur zu lesen, zu verstehen und zu erreichen.
  10. (Little) Was würde Schaeffer empfehlen, um in Kontakt mit der Kultur zu kommen? (Macauley) Jeder innerhalb l’Abri musste innerhalb der ersten Woche einen Nichtchristen kennenlernen. Oftmals leben wir Christen zu stark innerhalb unserer Ghettos. Es durfte jeweils Bericht erstattet werden, was man als die Grundüberzeugungen dieser Person gelernt hatte.
  11. (Little) Die Kirche ist Teil der Kultur – und nicht gegen die Kultur! (Macauley) Die Trennung stammt aus dem „pietist hangover“, das auf die Pietisten des 17. Jh. zurückgeht. Das Endprodukt: Herz gegen Kopf, privat gegen öffentlich.

Hier geht es zu einem Paper von Ranald Macauley mit dem  Titel "Learning from Francis Schaeffer" sowie zu einer Besprechung der Konferenzmitschriften "Francis Schaeffer. A Mind and a Heart for God".