Kolumne: Brief an einen Dauerzocker

Lieber Zocker

Vielleicht wird dich dieser Brief ärgern. Das wünsche ich mir eigentlich. Weil mir Unwille und Widerstand lieber sind als passives Hinnehmen. Passivität deutet nämlich auf Enttäuschung hin. Könnte es sein, dass du zu einem bestimmten Zeitpunkt resigniert hast? Für Jungs ist die Schule ein Ort für solche Enttäuschungen. Sie ist öde. Die Inhalte gefallen nur Mädchen, die brav Vokabeln büffeln.

Dabei hättest du es wahrscheinlich faustdick hinter den Ohren, ich meine damit (auch) im Kopf. Nur ist dein Kopf nicht gleichermassen trainiert wie deine Finger. Ich frage mich, was wohl geschehen würde, wenn du konsequent dein Hirn trainieren würdest! Zugegeben, das braucht einige Jährchen. Doch jetzt sitzt du die beste Zeit deines Lebens ab, als ob es nichts Spannenderes geben würde als auf eine kleine Glastafel zu gucken (oder auf das Tablet bzw. den PC). Und ich befürchte, dass es tatsächlich nichts Spannenderes gibt. Sonst würdest du es nicht ständig tun.

Ein gescheiter Mann hat gesagt: Wer ein Wozu hat, erträgt fast jedes Wie. Und ich füge hinzu: Wer kein Wozu hat, testet fast jedes Wie aus. Die Stimulation des Hirns durch das Zocken ist nicht zu verachten. Die Ausschüttungen sind beträchtlich. Nur muss der Stoff – wie beim Süchtigen – immer höher dosiert werden. Online-Spiele sind Betäubung und Ablenkung. Die Kräfte, Ideen und Erwartungen werden umgelenkt.

Steil vorgelegt: Ein erfülltes Leben und (übermässiges) Zocken schliessen sich gegenseitig aus. Du suchst das, was alle Menschen suchen. Glück. Aber du suchst es am falschen Ort (im virtuellen Raum) und in einer falschen Form (unmittelbarer Kick-back in Form von positiven Gefühlen). Ich vermute, dass du es dir nicht eingestehen willst, dass du suchst. Ich denke mir auch, dass du es gar nicht wissen willst. Also begibst du dich lieber in freiwillige Gefangenschaft: Am selben Ort, alleine (physisch, meine ich), gedanklich absorbiert, körperlich immer in derselben (oft verkrampften) Körperhaltung.

Ich stelle dir einige Fragen. Du musst sie nicht unmittelbar beantworten. Lass sie untergründig wirken.

  • Zuerst interessiert mich dein Tagesablauf. Wann verspürst du zum ersten Mal den Wunsch zum Zocken? Was denkst du im Moment, in dem du das Gerät aus der Tasche ziehst? Wann unterbrichst du zum ersten Mal?
  • Wie lange dauert es bis zur nächsten Session? Wie viele dieser Zock-Inseln sind es über den Tag verteilt? (Jede Zwischenzeit, jeden Moment der Langeweile?)
  • Wann bist du ganz kurze Zeit dran? Wann lange? Wann am längsten? Was war dein Rekord?
  • Zockst du in die Nacht hinein? Warum hörst du irgendwann auf? Machst du ab und zu durch?
  • Wie geht es dir am Morgen nach dem Erwachen? Wann greifst du in der Regel wieder zum Smartphone?

Neben deinen täglichen Gewohnheiten interessiert mich natürlich, wer deine Leidensgenossen sind.

  • Wer zockt mit? Wer ist dein liebster Kumpan? Wer ärgert dich online am meisten?
  • Wer gibt dir neue Ideen? Wer treibt dich zu neuen Höchstleistungen an?

Abgesehen vom Zocken:

  • Was tust du, wenn du nicht zockst? Für was brennst du und setzt dich voll ein?
  • Was willst du erreichen? Wenn du 20, 30, 40, 50, 60, 70 Jahre alt bist? Interessiert dich nicht? Das ist ja gerade das Problem. Wer sich nicht für (über-)morgen interessiert, verpennt das Heute!

Etwas unter der Oberfläche gefragt:

  • Wann bist du frustriert? Gibt es Momente der Leere nach dem Spiel? Wie reagierst du darauf?
  • Warum ist dir der Kick/der Spass im Moment so wichtig?
  • Vor was flüchtest du? (Vor der Arbeit? Vor dem Lernen?)

So, jetzt lasse ich dich mit dieser Art von Fragen. Deine Antworten interessieren mich echt. Jetzt kommen noch einige, die auf deine Zukunft und echte Befriedigung zielen. Das liegt mir besonders am Herzen. Darum frage ich dich:

  1. Was hast du zum Erobern? Was kannst du bauen – mit den Händen oder online? Womit kannst du allenfalls Geld verdienen? Wofür kannst du sparen? Was willst du einmal in Besitz nehmen?
  2. Was pflegst du? Wofür musst du täglich Kraft, Zeit und Konzentration aufwenden? (Ja, genau, es ist wie im Sport. Fähigkeiten und Fertigkeiten wollen trainiert sein. Die eigene Familie ist übrigens der erste und wichtigste Übungsplatz.)
  3. Was holst du dir als Futter für deinen Geist? Was fordert dich richtig heraus? Hast du mal ein schwieriges Sachbuch gelesen? Dich durch ein Lexikon gebaggert? Eine neue Sprache freiwillig gelernt? Vielleicht etwas programmiert?
  4. Wie pflegst du deine körperliche Kraft? Spürst du deinen Körper? Gehst du an deine Grenzen? Stinkst du manchmal vom Schweiss?
  5. Wer fordert dich geistlich heraus? Wer geht über fromme Phrasen hinaus und leitet dich in echten Kämpfen als Mann an? Hast du schon mal die Bibel ganz gelesen? Alle Stellen angestrichen, die dich irritieren?

Ich habe nun schon fast 700 Worte geschrieben. Die Aufmerksamkeitsspanne geht für manche kaum über 100 Worte. Dazu keine Bilder und schon gar keine bewegten Bilder. Darum abschliessend fünf Behauptungen.

  • Dir ist langweilig. Dir fehlt eine echte Herausforderung im Leben.
  • Dein Verhalten ist das eines Süchtigen.
  • Deine Eltern wissen nicht, wie sie dir begegnen sollen. (Sie würden viel dafür geben es zu wissen.)
  • Du wirst eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen müssen.

Ok, und jetzt noch was weniger Finger-Zeigendes: Da liegt viel mehr drin.

Ich bitte dich inständig. Denke mit mir vom Ende her: Was soll über dich gesagt werden? Worauf willst du zurückblicken? Begrabe deine Träume nicht. Baue sie aus. Dann gehe Schritt für Schritt in diese Richtung. Ich sage dir nicht, dass du aufhören sollst mit Zocken. Überlege dir, was sich auf lange Sicht lohnt. Auf etwas Wirk-liches. Deine Zufriedenheit wird wachsen.

Hanniel

P. S. Vielleicht musst du "Zocken" einfach mit ausuferndem Surfen auf "Instagram" oder "Snapchat" austauschen.