Kolumne: Mein Junge liest nicht!

Jungs lesen nicht gerne. Eltern, Lehrer und Pastoren nicken – und seufzen. Warum eigentlich?

Ich kenne eine Schulleiterin, die jeden Sommer eine Reading Challenge für Jungs durchführte. Eine andere Mutter bezahlte für jede gelesene Seite 1 Cent. Solche Initiativen und Belohnungen sind zwar löblich, ich halte sie jedoch nicht für nachhaltig. Zugegeben: Meine Frau backt hin und wieder leckere Kekse, wenn unser Zweitältester ein Werk beendet hat. Wir sind uns jedoch als Paar einig: Wenn die Freude nicht durch das Lesen selbst entsteht, dann verpuffen solche Belohnungseffekte sehr rasch. Lesen macht gescheit, so sagt man. Aber will ich denn gescheit sein? Das tönt doch nach Strebertum. Auch dieser moralische Appell verhallt ungehört.

Gründe, warum Jungs nicht lesen

Überlegen wir uns zunächst, weshalb Jungs nicht gerne lesen.

  1. Die Schule ist Mädchen-lastig. Die Art und Weise der Vermittlung, die Inhalte und auch die Form der Lernkontrollen zielen auf Formalität. Das Lesen wird den Jungs nicht artgerecht und nicht schmackhaft dargereicht. So entsteht durch die Institution Schule ein Überdruss.
  2. Ganz ähnlich läuft es in der Kirche. Das Lesen ist mehr Begleiterscheinung. Ich habe kaum eine begeistert lesende Gemeinde getroffen. Einige wenige sind wirklich belesen. Und dem durchschnittlichen Gottesdienstbesucher wird die Leseanstrengung selbst in den Gottesdiensten abgenommen.
  3. Jungs werden durch ihre Väter und männlichen Vorbilder nicht ins Lesen eingeführt. Die Einführung in die Körperlichkeit über den Sport geschieht viel zielgerichteter. Kein Wunder spielen Jungs dann lieber Fussball oder zocken auf ihren Geräten rum.
  4. Manche Literatur ist den Jungs zu schöngeistig. Sie finden den Einstieg nicht. Dabei ist die Breite der Literatur gewaltig: Es gibt ungemein spannende Sachbücher, hervorragend illustrierte technische Werke, aber auch packende Bücher über Krieg und Frieden, über abenteuerliche Leben. Ich habe meinen Jungs beispielsweise eine Hörbuch-Serie über wichtige Personen aus der Weltgeschichte besorgt.
  5. Solange ein Junge nicht kapiert, was es ihm bringt, macht er es nicht. Lesen, um der Mutter einen Gefallen zu tun? Das macht ein Junge vielleicht einmal pro Jahr. Wenn er aber merkt, dass er mitreden kann und dabei punktet; dass er sich in Gebiete einarbeiten kann; dass er sich in der Selbstführung verbessert; dass er insgesamt zu ganz neuen Ideen und Ansätzen gelangen kann. Dann beginnt sich für ihn das zu lohnen.

Etabliere eine Bücherkultur

Wir sollen unsere Söhne zu echtem Hirnfutter, sprich lebendigen Büchern, hinführen. Dabei bin ich mir bewusst, dass die Konkurrenz zum Bildschirm hoch ist. Ich glaube, dass eine Bücher-Kultur nur über Jahre im Elternhaus etabliert werden kann.

  1. Ich bin selbst von Büchern begeistert und ziehe sie den bewegten Bildern vor. Unlimitierter Online-Konsum erstickt die Freude am Lesen!
  2. Bücher sind überall in der Wohnung verfügbar. Darunter sind solche, die sich die Kinder immer wieder fischen, selber angucken und sich erzählen lassen wollen.
  3. Jeder Junge baut sich selbst eine Bibliothek auf. Ich sammle in Bibliotheken, Antiquariaten und über Online-Suchaufträge passende Bücher für jeden Jungen.
  4. Buch und Wort haben einen hohen Stellenwert im ganzen Tagesablauf: Während den Mahlzeiten lese ich kurze Stücke (aus der Bibel) vor. Meine Frau beginnt den Tag oft im Stuhlkreis – mit Büchern.
  5. Wenn Gäste zu Besuch sind, fragen wir sie nach wichtigen Büchern; nach Lesestoff, die sie geprägt haben. Dadurch haben wir schon manchen Hinweis erhalten.
  6. Ich frage regelmässig (fast täglich) nach, was sie gelesen haben. Mittlerweile kommen die Jungs von sich aus zu mir, um mir davon zu erzählen.
  7. Was gibt es Schöneres, als wenn Ältere ihre neu erworbenen Fähigkeiten zum Nutzen der Geschwister einsetzen? Zum Teil geschieht es angeleitet, andere Male freiwillig: Ältere nehmen ein Buch hervor und beginnen vorzulesen. Die jüngeren stehen vom Spiel auf und versammeln sich um den Bruder. Es wird still.
  8. Eine gute Alternative zum Lesen sind Hörbücher. Meine Jungs sitzen stundenlang davor und hören gebannt zu. Besonders in den Urlauben sorge ich dafür, dass sie genügend Optionen für packende Hörspiele haben. So gehört es zur Gewohnheit, sich aufs Bett zu legen und gemeinsam zuzuhören. Einzelne Sprecher sind bei meinen Jungs beliebt.

Es geht also um langfristige Gewohnheiten. Es geht um die eigene Begeisterung. Und dann geht es auch um männliche Lesevorbilder. Frage_ Hast du dein Kind schon im Kampf durch ein Buch angeleitet? Es kostet Zeit und Nerven. Zwischendurch legt es das Buch zur Seite. Will nicht mehr weiterfahren. Wer durch diese Hindernisse hindurch dranbleibt, wird mit Befriedigung belohnt, wenn er dran geblieben ist.