Zitat der Woche: Mütter formen ihr Kind nach ihrem Bild

Ich bin kein Fan der Zuschreibungen der Psychotherapie. Was Hans-Joachim Maaz beschreibt, habe ich oft schon beobachtet. Es gibt eine theologische Erklärung dafür: Mütter formen ihre Kinder nach ihrem Bild. Das ist eine Form von Götzendienst. Vordergründig geht es um das Kind, hintergründig um die eigene Person.

Viele Mütter aber haben Erwartungen an ihr Kind; im Grunde tragen sie ein Bild ihres Kindes in sich und richten ihr Beziehungsangebot – oder verschärft: ihr Erziehungsverhalten – danach aus. Ihr Beziehungsangebot transportiert die Erwartung: «Sei so, wie ich dich haben will und brauche!» Die Tragik dieser mütterlichen Einstellung liegt darin, dass sie gar nicht problematisiert, sondern als ganz selbstverständlich und natürlich empfunden wird – im Grunde die unreflektierte, transgenerationelle Weitergabe der im eigenen (falschen Selbst) wurzelnden Überzeugungen… Sie formt das Kind nach ihrem Geschmack, das heißt nach ihren Werten und Beziehungsmöglichkeiten, und ahnt nichts von der tragischen Entfremdung ihres Kindes. Das Kind verliert die Innenorientierung des Seins und lernt als Außenorientierung, darauf zu achten, wie es der Mutter geht. Statt auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und das eigene Befinden zu deuten und zu verstehen – als Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstverständnis und Eigenständigkeit –, werden Fremdbeobachtung und Außenorientierung gezüchtet. Im Bemühen, sich so zu verhalten, dass man Beachtung und Anerkennung erfährt oder wenigstens nicht abgelehnt und bestraft wird, entsteht eine prinzipielle Abhängigkeit. Man lernt zu tun, was erwünscht und erwartet wird, und verlernt sich selbst. … Die Wahrnehmung des Kindes wird auf diese Weise von sich selbst weg auf die Beziehungspersonen geleitet: von der Innenorientierung auf Außenorientierung. Von dem, was das Kind braucht und wünscht, auf das, was von ihm erwünscht wird und was andere brauchen – vom Selbsterleben des Kindes auf die Beobachtung der bestimmenden Kontaktperson.

Hans-Joachim Maaz. Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft. C. H. Beck: München, 2017. S. 31-35.

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