Dies ist eine Stellungnahme zum Artikel "Gott hat keinen Plan für dein Leben".
Cheftheologe von ICF propagiert offen einen theologisch liberalen Kurs
Ich kenne Manuel Schmid nicht persönlich. Er präsentiert sich als chilliger Familienvater, auf der Höhe der (spätmodernen) Zeit. Den Doktortitel von der Uni Basel hat er in der Tasche. Er ist "Teaching Pastor" der ICF-Truppe Basel und gleichzeitig Cheftheologe ("Theologiebeauftragter") der ICF-Bewegung. Er doziert an Chrischona und am IGW, zwei massgeblichen freikirchlichen Ausbildungsstätten der Schweiz. Fachlich hat er in freikirchlichen Reihen eine Lücke geschlossen, nämlich eine Aktualisierung der Gotteslehre.
In diesem Bereich gähnte in den letzten Jahrzehnten in freikirchlichen Kreisen eine Leere. Ich könnte mich an keine einzige Predigtserie seit Kindsbeinen an erinnern, die sich bewusst und ausschliesslich der Gotteslehre widmete. Mit der Bewegung des «Offenen Theismus», die vor etwa 15 Jahren in den USA unter Evangelikalen für Furore sorgte, platziert Schmid sich nun prominent in der Zeitschrift «idea Spektrum» und hält nicht nur an der Uni Basel, sondern auch im IGW einen Studientag ab. Mitarbeiter von ICF Basel und Mittelland wurden 2017 zu Seminaren mit dem einschlägig bekannten Greg Boyd aufgeboten. Boyd predigte auch im ICF Basel, die Aufnahmen stehen auf Youtube. Eine Seite überdenken.org gibt es auch. Medial und lebensweltlich ist die Lehre gekonnt platziert. Auch rhetorisch lässt Schmid nichts anbrennen.
Weshalb also der Aufruhr? Ich fasse mich kurz: Weil die skizzierte Gotteslehre die Selbstoffenbarung Gottes, das heisst seine Darstellung in Wesen und Taten in der Bibel, auf groteske Weise verzerrt. Hier geht es nicht um eine Randfrage. Hier geht es um das Wesentliche. Es hat mich bereits gewundert: Über die Frage des Evangeliums (mit Rob Bells «Das letzte Wort hat die Liebe»), verschiedenen Schriften zur Gesellschaftstransformation (z. B. Roland Hardmeiers «Missionale Theologie»), einer individualistisch interpretierten Ekklesiologie (mit Wayne Jacobsons «Der Schrei der Wildgänse»), dem mystischen Andachtsbuch (Sarah Youngs «366 Liebesbriefe für Jesus») und natürlich einigen Übersetzungen von Brian McLaren fehlte nur noch das Kronstück: Die Gotteslehre. Damit ist die Dogmatik für die Gemeindeleiter der nächsten Generation abgerundet.
Als Lehrer der Theologie tragen wir eine besondere Verantwortung (Jakobus 3,1). Wir werden ein schärferes Urteil empfangen. Ich sage es offen: Dass Schmid ein solcher Einflussbereich zugestanden wird, redet auch für seine Auftraggeber eine deutliche Sprache. Offensichtlich wird der nach-evangelikale Kurs gestützt.
Das Leid ist der Fels, an dem die Utopien des Nach-Evangelikalismus zerschellen
Endlich wird mal wieder etwas über Gott gesagt. Der Schwerpunkt der letzten Jahre und Jahrzehnte lagen bei der Lehre des Menschen.
Absolut richtig! Die Gotteslehre wurde in den Gemeinden sträflich vernachlässigt. Alles beginnt bei der den Aussagen über Gott und sein Wesen. Die einzige Quelle dafür ist das Wort Gottes. Sie ist Gottes Selbstoffenbarung. Über die letzten Jahre hörte ich in vielen Predigten den immer gleichen Slogan: Gott ist Liebe. Dieser Begriff ist säkular und auch fromm vor-geprägt. Wir stellen uns darunter einen Gott als Gegenüber vor, der es für uns gefühlsmässig passend macht. Eine Umfrage in den USA, die nun schon 12 Jahre zurückliegt, zeigte genau dieses Bild einer moralistisch-therapeutischen Religion: Ich lebe anständig, dann belohnt es Gott. Er bringt meine Gefühle in Ordnung und zum Schwingen. Dem steht die Realität des Alltags gegenüber: Wir erleben Gott nicht, und wenn wir ein Problem haben, meldet er sich nicht. Seltsam. Gott sei Dank lese ich in der Bibel über einen ganz anderen Gott.
Der offene Theismus ist eine Bewegung aus dem nordamerikanischen Raum.
Richtig, sie ist dort kurz aufgeblüht, um in der Versenkung zu verschwinden. Was hierzulande viele nicht wissen: Innerhalb der Evangelical Theological Society (ETS) wurde 2003 darüber abgestimmt, ob die Anhänger dieser Bewegung aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollten. Es wurde ganz knapp dagegen entschieden. Leider sind die einschlägigen Werke, die im Evangelikalismus eine klare Mehrheit fanden, (noch) nicht in die deutsche Sprache übersetzt.
Die Leiter und Verantwortlichen der ICF Movement sind kürzlich zu Seminaren um Greg Boyd eingeladen worden.
Umso schlimmer! Da wird ein „Guru“ eingeflogen. Woher sollen denn die theologisch unbeschlagenen Leiter, die oft über Jahre kaum eine auslegende Predigt gehört haben, über Fragen zur Gotteslehre entscheiden können? Wenn jemand rhetorisch brillant redet, also die Performance stimmt, dann ist die Sache doch schon gegessen.
Dann präsentiere doch bitte mal dein Gottesbild!
Ausführlich habe ich das in einem Artikel dargelegt. Sieh dir doch bitte die Hunderte (!) von Bibelstellen an, die ich dort zusammengestellt habe. Das Gesamtzeugnis der Bibel offenbart uns einen Gott, der a) völlig souverän alle Geschehnisse bewirkt, b) die Geschichte zur Vollendung führt, c) im Leben der Seinen oft verborgen bleibt und d) das Leid oft als „Megafon“ (Vergleich von C. S. Lewis) einsetzt, um Menschen zur Besinnung zu bringen. Dass sich Gott freiwillig auf die Mitwirkung von Menschen einlässt und deshalb „verlaufsoffen“ bleibt, ist einfach unhaltbar. Dass es uns Menschen nicht passt, dass wir nicht überall Einblick haben, und dass wir uns gerne als „Sparring“-Partner Gottes sehen, ist eher kulturelles Produkt der Aufklärung.
Die Kritik, dass Gott die Zukunft nicht kennt, greift zu kurz. Boyd ist da viel versierter.
Das ist richtig. Doch die Argumente müssen logisch fertig gedacht und dann mit dem Zeugnis der Bibel abgestimmt werden. Die Verlaufsoffenheit der Geschichte durch den Miteinbezug des Menschen macht Gott letztlich abhängig von den Entscheiden der Geschöpfe. Das widerspricht klar dem biblischen Zeugnis. Dafür muss man keine Theologie studiert haben.
Was sagst du denn einer Person, deren Sohn mit vier Jahren an Krebs umgekommen ist?
Das Leid ist der Fels, an dem die Utopien der Moderne zerschellen. Etwa so formulierte es der deutsche Sozialphilosoph Günter Rohrmoser. Das gilt auch für die Frommen. Die Realität des Leids mit einem in der Konsequenz impotenten Gott zu beantworten, führt zu keiner Linderung des Alltags. Im Gegenteil: Es raubt uns den Trost eines souveränen Gottes, der die Geschichte zu seinem Ziel führt.
Immer diese Kritik. Können denn die Konservativen nichts stehen lassen?
Richtig, Kritik ist angebracht. Sogar noch mehr als Kritik: Wir sollen kämpfen und Menschen aus dem Feuer retten (Judas 3 & 23) Es geht um das Eingemachte. In den letzten Jahren wurde in theologischen Seminaren viel Unfug gelehrt. Es wurden weder Lehrverfahren eingeleitet noch wurde in Gemeinden klar Stellung bezogen. Um des lieben Friedens willen schwieg man lieber.
Nochmals: Was würdest du einer leidenden Person sagen?
Oh, ich habe Kontakt zu verschiedenen Menschen, die Grauenvolles durchlebt haben. Wenn ich die Zuversicht und das Vertrauen dieser Menschen betrachte, dann kann ich nur sagen: Es ist der all-mächtige Gott, der sie bei sich hält (Psalm 73,23). Die Antwort tönt ganz klassisch: Halte dich an die Zusagen Gottes. Ernähre dich täglich (und manchmal stündlich) von diesem Wort. Flüchte immer wieder im Gebet zu Christus. Verlasse auf keinen Fall den Schutz der Ortsgemeinde. Rechne damit, dass manche deiner Mitchristen deine Situation nicht verstehen. Tröste andere Menschen, so wie Paulus seine eigene Verzweiflung am Leben als Anlass sah, andere zu trösten (2Kor 1,3+8).
Das ist mir zu wenig!
Dann empfehle ich dir meine Einführung zur Gotteslehre „Wer Gott verliert, verliert sich selbst“ und den bereits genannten Artikel „Schränkt Gott seine Kontrolle zugunsten des freien menschlichen Willens ein?“
Fünf Argumente des Artikels: Eine Entgegnung
Es braucht eine hermeneutische Vorbemerkung. Alle fünf Fragen entstehen aus Denkvoraussetzungen der Moderne heraus, in denen sich der Mensch als Subjekt, das heisst als erste und beurteilende Grösse, wahrnimmt. Sein Verstand ist die Instanz, um die Vernünftigkeit von Argumenten zu beurteilen. Letztlich müssen wir jedoch den umgekehrten Weg gehen. Wir stellen sämtliche Aussagen über Gottes Wesen und sein Wirken zusammen und lassen daraus unsere Vorstellungen korrigieren. Unser Denken muss an Gottes Denken geeicht werden. Das gilt gerade auch in der Frage nach dem Leid!
Bei den Antworten greife ich auf den ausgezeichneten Zusammenzug von Thomas Schirrmachers Ethik (Bd. 1, Lektion 5) zurück.
Weiss Gott nicht im Voraus, was der Mensch mit seinem freien Willen tun wird?
Gott erhält jeden Moment das ganze Universum (Hebr 1,3). Das erstreckt sich bis in die kleinsten Vorgänge des Alltags (Mt 10,29-30; Mt 6,26). Ereignisse insgesamt werden vorherbestimmt (Daniel 2,21; 4,31-32; Jesaja 46,9-11; Hiob 23,13-14; Apostelgeschichte 4,27-28; Sprüche 19,21). Die Vorherbestimmung ermöglicht das Leben des Christen (Römer 8,28-30; Jeremia 1,5; Galater 1,15).
Kann Gott leidvolle Ereignisse nicht verhindern?
Gott schafft und wirkt gar das Böse und lenkt es (z. B. 1. Samuel 2,25; Sprüche 16,4; Jes 45,6-7; Amos 3,6; Klagelieder 3,37-38; Prediger 7,13-14; Offenbarung 17,17). Er kontrolliert und sendet böse Geister (1. Samuel 16,14; 2. Samuel 24,1). Er benutzt auch das Böse für seine Zwecke (1. Mose 45,8; 50,20; Apg 2,23; 3,18) – um letztlich Gutes daraus zu entstehen lassen.
Zur Frage nach dem Leid habe ich anhand des 1. Petrusbriefes einen Artikel geschrieben, den ich dringend zur Lektüre empfehle.
Schreibt Gott eine dynamische und ergebnisoffene Geschichte mit uns?
Sowohl in der Josefsgeschichte (1. Mose 37-50) als auch bei Hiob, Ester, Daniel und den Propheten spielt die Vorherbestimmung aller Ereignisse eine massgebliche Rolle. Lesen wir Römer 9-11 und die Offenbarung: Sie berichtet uns dasselbe. Einzelne Ereignisse sind zeitlich im Voraus festgelegt (Johannes 8,20; Matthäus 24,36; Habakuk 2,3). Auch die Todesstunde steht in Gottes Hand (Hiob 14,5; Psalm 39,4-5; Apostelgeschichte 17,26). Gott macht Pläne zunichte (Nehemia 4,9; Daniel 3,17), auch scheinbar zufällige Ereignisse gehören dazu (Sprüche 16,33; Jona 1,7; 1. Könige 22,34).
Ist ein Gott, der nicht alles unter Kontrolle hat und nicht für alles verantwortlich gemacht werden muss, die bessere Alternative?
Es geht letztlich um ein Gesamtparadigma: Ist Gott ein Akteur, der auf unseren Befehl hin die Privatbühne zu betreten und wieder zu verlassen hat? Oder ist er der souveräne Gott, der alles nach seinem Wohlgefallen zu Seiner Ehre wirkt? Wenn ich Altes und Neues Testament lese, bin ich von letzerem felsenfest überzeugt (Psalm 24; Psalm 100,3; 115,3; Römer 11,36; Offenbarung 4,11).
Hält der Offene Theismus konsequent an der Liebe Gottes fest?
Das ist eine Schlüsselfrage. Durch Altes und Neues Testament zieht sich ein roter Faden: Gott ist ein heilig-liebender Gott. Ein Gott der Liebe ohne seine Heiligkeit ist eine Karikatur (und umgekehrt ebenso). Das grosse Problem des Evangelikalismus ist die Unterbelichtung der Heiligkeit Gottes. Ich habe es erlebt, dass in einer Predigt nur der erste Teil von 2. Mose 34,6-7 vorgelesen wurde. Dadurch wird der Begriff der Liebe «abgetakelt» und entstellt. David F. Wells hat dies in seinem Buch «Gott im Zentrum» meisterhaft dargestellt. In meiner ausführlichen Besprechung gehe ich näher darauf ein. Jonas Erne hat zudem eine gut leserliche Zusammenfassung von D. A. Carsons Buch «Die schwierige Lehre von der Liebe Gottes» erstellt.