Wie Gott uns reformierte (Gastbeiträge von Flowing Waters – 3/6)

Reformed oder Deformed?

Ich bin mit folgendem Gottesbild aufgewachsen: Gott liebt alle Menschen; Menschen haben gesündigt aber Gott bietet ihnen an, sein Geschenk der Errettung anzunehmen; dabei achtet Gott auf unseren freien Willen, mit dem er uns geschaffen hat. Bei dieser Errettung geht es darum, dass Gott so gerne mit uns Gemeinschaft haben möchte und sich so nach uns sehnt. Er möchte uns so gerne seine Liebe zeigen und will, dass es uns gut geht. Der Gedanke, dass es vielmehr um Gottes eigene Ehre bei unserer Errettung geht und er darin souverän handelt, hatte in meiner Theologie keinen Platz. Dieses m.E. deformierte Gottesbild sollte sich schon bald reformieren.

Es begann damit, dass mit achtzehn Jahren in mir der Wunsch aufkam, eine Bibelschule zu besuchen, damit ich Gott und sein Wort tiefgehender begreifen lerne und davon verändert werde. Ohne langes Suchen und auf Empfehlung eines Gemeindemitglieds hin fiel meine Wahl auf das Seminar für biblische Theologie in Beatenberg. Kaum machte diese Nachricht die Runde, kam ein befreundetes Ehepaar meiner Eltern auf sie zu und fragte – wohl mehr spaßeshalber: „Warum möchte euer Sohn denn nach Beatenberg, will er etwa Calvinist werden?“ Völlig ahnungslos begannen meine Eltern nun sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, da sie befürchteten, ich könnte irgendeine schiefe Lehre annehmen, wenn ich an diesem Seminar studieren würde. Sie begannen eine Vortragsreihe von einem gewissen Dave Hunt anzuhören, der nun gewiss nicht als objektiver Betrachter dieser Thematik angesehen werden kann, und kamen immer mehr zu der Ansicht, dass dieser Calvinismus eine unmögliche Irrlehre sein muss. „Gott bestimmt Menschen zur Hölle! Das kann nicht sein!“; „Da muss man ja nicht mehr evangelisieren!“; „Das fördert doch nur die Laxheit im christlichen Leben!“. All das waren Vorurteile gegenüber dem Calvinismus, mit denen ich ständig konfrontiert wurde, sodass ich selber eine große Abneigung gegen diese Lehre hegte. 

Ich erinnere mich noch genau, wie ich beispielsweise Predigten von Paul Washer, die ein sehr guter Freund gerne hörte, verabscheute. Diese ganze Lehre widersprach derart meinem Gottesbild. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, dass Gott souverän den Glauben der Menschen wirkt. Stellen wie Epheser 1 und Römer 9 wurden in dieser Zeit natürlich gekonnt überlesen und nicht beachtet. Es ergab m.E. einfach keinen Sinn, dass Gott Menschen zum Heil erwählt und diese dennoch verantwortlich sind. Es musste anders sein.

Die große Wende von meinem deformierten Gottesbild zu einem reformierten ereignete sich, als ich für vier Monate einen Aufenthalt in Australien hatte. Ich wollte dort anfangen, den Römerbrief zu studieren und auswendig zu lernen. Ich beschäftigte mich also mit für mich damals sehr unangenehmen Kapiteln, bat aber gleichzeitig Gott ernsthaft darum, mir sein Wort zu öffnen, selbst wenn es meinem Denken widerspricht. Dieses Gebet wurde mehr und mehr erhört. Ich las von der abartigen Verdorbenheit des Menschen (Röm 1,18-3,20), davon, wie die Errettung eine absolute Gnadengabe war (Röm 3,24; 5,1; 6,23), wie sicher unsere Erlösung in Gottes bewahrender Hand ist (Röm 8,35-39) und dass Gott mich zuvorerkannte (und nicht meine Taten "voraussah") und zur Sohnschaft vorherbestimmte (Röm 8,29). 

Einen entscheidenden Gedankenanstoß bekam ich allerdings durch ein kurzes Video von John MacArthur. Er wurde gefragt, wie das denn zusammenpasst, dass Gott souverän in der Errettung des Menschen wirkt und der Mensch doch verantwortlich für seine Entscheidungen ist. Seine kurze Antwort war: "Ich habe absolut keine Ahnung". Diese Spannung konnte er nicht erklären. Warum er sie allerdings doch glaubt und lehrt, illustrierte er anhand anderer Beispiele aus der Schrift: Jesus Christus ist wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch. Der Römerbrief entspringt wirklich aus der Feder des Paulus, es ist sein Stil, seine Argumentation und sein Gedankengang, aber genauso deutlich muss man betonen, dass der Römerbrief vom Heiligen Geist inspiriert ist. Ebenso existiert eine Spannung darin, wer denn das christliche Leben lebt – ich oder Christus? Diese Spannungen gibt es immer wieder in der Schrift und anstatt diese zusammenbringen zu wollen, sollte man sie lieber beide glauben und lehren.

Ich möchte mit einem zusammenfassenden Zitat von Augustinus schließen:

"Du Mensch erwartest von mir eine Antwort – und ich bin auch ein Mensch! Deshalb wollen wir beide auf den hören, der da spricht: ‚Ja, lieber Mensch, wer bist du denn?‘ (Röm 9,20). Denn ein gläubiges Wissen ist besser als ein vorwitziges Wissen! (…) Fragst du nach der Ursache? Ich will mich vielmehr vor solcher Tiefe entsetzen. Klügle du, ich verwundere mich. Disputiere du, ich will glauben. Ich sehe die Tiefe, aber ich komme nicht auf den Grund. Paulus ist zur Ruhe gekommen, weil er zu solcher Bewunderung kam. Er nennt Gottes Gerichte unbegreiflich, und du bist gekommen, sie zu durchforschen? Er sagt, seine Wege seien undurchforschbar und du willst dich hindurch finden? Wer nun hier ohne Scheu und vermessen einbricht, der erlangt nichts, womit er seinen Vorwitz befriedigen könnte, und er tritt in einen Irrgarten, aus dem es keinen Ausweg gibt."

Markus Depner