«Mama, du hast dich gut erzogen.» Diese Feststellung kommt von unserem Jüngsten. Er hatte sich vor meine Frau hingestellt und diese Worte anerkennend ausgesprochen. Sie sind mir nachgegangen. Ich schildere aus meiner Perspektive, weshalb mein Junior den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Tatsächlich stellte meine Frau Tausende von Malen ihre eigenen Wünsche zurück. Nachts wurde sie in den vergangenen 15 Jahren oftmals gestört. Sie nahm es geduldig hin. Am Morgen war sie meistens die erste, die aufstand, als die anderen noch schlafend in ihren Betten lagen. Anstelle des Lesens eines Buches schrieb sie zahlreichen Menschen handgeschriebene Briefe. Sie strickte Mützen und besserte zu später Stunde noch die Kleider der Kinder aus. Nach dem intensiven Unterricht von sieben bis nach zwölf Uhr morgens überlegte sie sich, was sie in kurzer Frist auf den Tisch bringen konnte. Sie pflegte den Garten – manchmal mit dem Scheinwerfer in der Dunkelheit.
Ich sage nicht, dass jede Mutter so sein muss – bewahre. Diese Robustheit ist nicht allen gegeben. Auch nicht dieser dicke mentale Boden. Genau so wenig spürt sich jeder Mensch so gut wie meine Frau. Sie weiss genau, wann sie körperlich und mental ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Sie hat darum – auch ein Teil der Selbsterziehung – auf viele Appelle der Konsumgesellschaft (auch der verpackten frommen) mit einem «Nein» reagiert. Sie hat anderes bewusst und ohne Gefühl etwas zu verpassen zurückgestellt.
Nach dem säkularen «Frame» (der Gesamtheit der Denkvoraussetzungen) müsste meine Frau heute ein todunglücklicher Mensch sein. Doch weit gefehlt! Ich beobachte: Ein kaum zu überbietender Grad an innerer Zufriedenheit; gesunder Schlaf; gesunder Appetit; eine Freude an Details (z. B. im Garten, wo sie eben eine Menge von Schneeglöckchen eingepflanzt hat und sich auf das Tulpenmeer im Frühling freut); Interesse am Lesen, insbesondere an der Bibel; Freude am Erlernen neuer Sprachen; eine Wissbegier bezüglich Optimierung der Arbeit in Haus und Garten; das Musizieren; eine innige Anteilnahme am Leben anderer Menschen.
Meine Frage: Wozu erziehen wir uns mit unseren täglichen Gewohnheiten? Ich beginne dabei mit den unzähligen Bewertungen, die wir innerlich geben. Das ist «mühsam», «vergeblich», «unangenehm», «altmodisch» oder was sonst. Damit entschuldigen wir den nächsten Schritt an unserer Charakterentwicklung. Und wir stolpern Schritt für Schritt in eine steigende Unzufriedenheit hinein.