Zitat der Woche: Sorgen um die grossen Fragezeichen der Zukunft bedrückten mein Herz

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Nachdem ich die drei ersten Teilbände gelesen hatte und die Bücher einige Jahre zur Seite legte (meine Frau meinte, ich sei mit diesen Memoiren verheiratet), holte ich das über 2 Mio. Worte starke Werk vom Dachboden.
Es ist keine schlechte Idee, ein Mammutwerk vom Anfang und vom Ende her zu lesen. Hier geht es zu meiner Rezension.

Der letzte Band von  Churchills Memoiren zum Zweiten Weltkrieg gewährt einen Einblick in das Innere des Staatsmannes. Ihn plagten gerade nach dem Sieg grosse Sorgen:

Sorgen um die grossen Fragezeichen der Zukunft bedrückten mein Herz, indes sich rund um mich herum Londons Bevölkerung nach all ihrem bitteren Leiden dem wohlverdienten Jubel hingab. … Die gemeinsame Gefahr, das Hauptband zwischen den drei grossen Bundesgenossen, hatte sich über Nacht in nichts aufgelöst, und schon war in meinen Augen die kommunistische Gefahr an die Stelle des bisherigen Feindes getreten; nur hatte sich noch keine gemeinsame Front zu deren Abwehr gebildet. Auch bei uns in Grossbritannien war die Grundlage unserer Kriegsregierung, die nationale Geschlossenheit, zerbrochen. Die Kraft, die so vielen Stürmen getrotzt hatte, verliess uns jetzt, da die Sonne wieder schien. Wie konnte da ein Schlussstein gesetzt werden, der einzig und allein die Leiden und die Mühen dieses Kampfes zu rechtfertigen imstande war? Die Befürchtung, die siegreichen Armeen der Demokratie könnten allzufrüh aufgelöst werden, bohrte in mir, da doch die härteste und entscheidende Kraftprobe immer noch vor uns zu liegen schien. Ich hatte das alles schon einmal erlebt. Ich erinnerte mich an einen anderen Freudentag vor beinahe dreissig Jahren, als ich, von meiner Frau begleitet, durch ebenso frenetisch jubelnde Menschenmassen aus dem Rüstungsministerium nach der Downing Street fuhr, um dem Premierminister zu gratulieren. Damals, wie auch diesmal wieder, sah ich die Weltsituation in ihrer Gesamtheit vor mir ausgebreitet. Doc damals gab es wenigstens keine mächtige Armee, die wir zu fürchten hatten. (257-258)

Ehrlich gibt er seine Erschöpfung zu. Churchills Partei wurde 1945 direkt nach dem Krieg abgewählt.

Mich selbst bedrückte die Aussicht, vom Führer der Nation auf den Status eines Parteiführers herabzusinken, sehr. Selbstverständlich hoffte ich, dass mir die Macht zugebilligt werden würde, die europäische Generalbereinigung anzustreben, den Krieg mit Japan zu beenden und unsere Soldaten nach Hause zu bringen. Nicht, dass mich das Leben eines Privatmannes weniger gelockt hätte als die Führung der Staatsangelegenheiten. Zu jener Zeit war ich sehr erschöpft und körperlich so schwach, dass ich mich von Marinesoldaten in einem Stuhle von den unter dem ‚Annex‘ abgehaltenen Kabinettssitzungen nach oben tragen lassen musste. Aber ich hatte die ganze Weltsituation im Auge und glaubte, über Kenntnisse, Einfluss und sogar Autorität zu verfügen, die zu einer Lösung beitragen könnten. Daher empfand ich es als meine Pflicht und gleichzeitig als mein Recht, den Versuch zu unternehmen. (281)

Um noch etwas konkreter Einblick in seine kosmostrategische Gesamtbeurteilung zu erhalten:

Wie präsentiert sich heute das Bild…? Die russische Besatzungszone verläuft quer durch den Kontinent von Lübeck bis Linz. Die Tschechoslowakei ist in sie einbezogen. Die baltischen Länder, Polen, Rumänien und Bulgarien sind auf den Status von Satelliten unter einem totalitären Regime herabgesunken. Österreich wird eine endgültige Regelung verweigert. Jugoslawien hat sich freigemacht. Nur Griechenland ist gerettet. Unsere Armeen existieren nicht mehr, und es wird noch lange Zeit dauern, bevor den russischen Kräften, deren Übermacht an Panzern und Mannschaften überwältigend ist, auch nur sechzig Divisionen entgegengestellt werden können. Und in all dem sind die Ereignisse im Fernen Osten nicht inbegriffen. Nur die Atombombe deckt uns als dräuender Schild. So sehen sich die freien Nationen der Welt vor den Gefahren eines dritten Weltkrieges, und das unter Bedingungen, die sie mit Ausnahme dieser neuen, furchtbaren Waffe von Anfang an in einen entsetzlichen Nachteil versetzen. (295)