- Vortrag von Timothy Keller am GB-Parlamentarier-Frühstück (Youtube)
- Englisches Transkript (PDF)
- Artikel zum (meisterlichen) Auftritt (TGC)
Fragestellung: Was kann das Christentum der Gesellschaft des Westens im 21. Jahrhundert bieten? (Die Untertitel sind von mir so gesetzt worden.)
1. Das Beste herausbringen und das Schlimmste aufhalten
Beantwortung anhand von Matthäus 5,13: «Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz fade wird, womit soll es wieder salzig gemacht werden? Es taugt zu nichts mehr, als dass es hinausgeworfen und von den Leuten zertreten wird.»
Das Salz entfaltet eine doppelte Wirkung: Es bringt den Geschmack heraus und es konserviert. Diese Metapher benutzte Jesus, um die doppelte Wirkung von Christen zu beschreiben – nämlich das Beste herauszubringen und das Schlimmste zurückzuhalten. Das geht nur, wenn Christen Salz sind, also anders als der Rest der Gesellschaft.
2. Die massiv salzige Wirkung des Christentums in der Vergangenheit
Das Christentum entfaltete in der Vergangenheit eine massiv «salzige» Wirkung. (Keller bringt nun einige Beispiele, zuerst von einem US-amerikanischen Professor.) Studenten antworteten auf das Gedankenexperiment ihres Professors, ob sie einer alten Dame Geld und Perlen stehlen würden unter der Bedingung, dass sie nicht identifiziert noch belangt werden könnten. Die meisten Studenten antworteten mit «Nein» mit der Begründung, dass sie sich dabei vorstellten, wie es der alten Dame nachher ergehen würde. Das ist Ausdruck einer auf den anderen ausgerichtete (other-directed) Ethik, während in einer Schamkultur die Entwendung kein Problem dargestellt hätte. Diese Ethik brachten Mönche den Angelsachsen vor über tausend Jahren. Unser moralisches Bewusstsein ist durch das Christentum geprägt worden – unabhängig davon, ob wir uns als Christen bezeichnen.
Die Idee, dass jeder Mensch eine einzigartige Würde besitzt, entspringt der mittelalterlichen christlichen Philosophie und nicht der Zeit der Aufklärung. Die antiken Gesellschaften akzeptieren die Sklaverei. Gregor von Nyssa (4. Jh.) schrieb bereits über den unermesslichen Wert der menschlichen Seele. Das war einzigartig für jene Zeit! So waren auch die Gründerväter der Vereinigten Staaten fest verwurzelt in der Vorstellung der Imago Dei (Gottesebenbildlichkeit des Menschen). Keller zitiert Martin Luther King Jr. aus dessen Predigt «The American Dream». Auch der Intellektuelle Jürgen Habermas sieht Errungenschaften wie die Menschenrechte und die Demokratie als direkte Folgen des jüdisch-christlichen Erbes an. Ebenso ist auch die Idee der universellen Wohltätigkeit (benevolence) christlichen Ursprungs (David Bentley Hart). Weiter: Die römische Sexualethik war vor dem Aufkommen des Christentums komplett von Scham und Ehre geprägt (Kyle Harper, From Shame to Sin: The Christian Transformation of Sexual Morality in Late Antiquity).
3. Die hemmende Wirkung des Christentums in der Zukunft
In der Zukunft wird das Christentums eine Verfalls-hemmende Wirkung entfalten. Der Religionsphilosophe Charles Taylor stellt in seinem Buch Sources of the Self einen Widerspruch in unserer Gesellschaft fest. Auf der einen Seite hält sie an höchsten Idealen der Gleichheit jedes menschlichen Wesens fest und strebt nach Gerechtigkeit für jede Gruppe. Auf der anderen Seite postuliert sie, dass moralische Werte blosse soziale Konstruktion seien. Warum dann nicht Rassist sein? Weshalb Menschenrechte ehren? Moralische Ideale ohne moralische Quellen führt zu einem gravierenden Nachteil. Das einzige, was wir tun können, wenn der andere diese Werte nicht teilt, ist aufzuschreien. Opferbereitschaft setzt letztlich eine transzendentale Rechtfertigung voraus. Können wir also länger gut sein ohne einen Gott?
Keller führt das Beispiel der Amish People an. Im Bundesstaat Pennsylvania schoss ein Attentäter 2006 in einem Schulhaus um sich und tötete fünf Mädchen, bevor er sich selbst richtete. Wenige Jahre später schrieben drei Soziologen das Buch «Amish Grace: How Forgiveness Transcended Tragedy». Eine derartige Reaktion des Verzichts auf Rache und der Vergebung wäre ohne das Christentum undenkbar gewesen. Aufgrund dieser Begebenheit geht Keller am Schluss auf das Evangelium ein. Jesus Christus verzichtete auf seine Macht und sein Recht berechtigten Zorns. Er gab alles auf und gab sich selbst hin. Auf der Basis dieser dramatischen Rettung können Christen das Kreuz ihres Meisters auf sich nehmen.
4. Christen dürfen ihre Salzhaltigkeit nicht verlieren
Wenn sich Christen anpassen, verlieren sie ihren Salzgehalt. Larry Hurtado schrieb im Buch Why on Earth Did Anyone Become a Christian in the First Three Centuries? über die den Grund, weshalb trotz weitreichender Konsequenzen viele Christen wurden: Wegen der Gemeinschaft mit Gott und der Verheissung des ewigen Lebens.
Keller fordert die englische Nation auf von den Christen nicht zu fordern, dass sie wie sie würden. Vielmehr sollten sie ihren eigenen Idealen treu bleiben. Kritisiert sie also auf Basis ihrer eigenen Ideale!