Kolumne: Mein Perfektionismus hat doch seine guten Seiten!

Mehrmals habe ich zu meinen Ausführungen zum Perfektionismus den Einwand bekommen: „Dieser hat doch seine gute Seiten.“ Nun, ich spiele ein konkretes Beispiel durch. Nehmen wir einen Mann in gereiften Jahren, verheiratet, mit drei heranwachsenden Kindern. Er bewirtschaftet den grossen Garten, der unter seiner Hand blüht wie kein zweiter in der ganzen Gegend. Seine Nachbarn rühmen den Garten als Juwel. Im (fiktiven) Gespräch wird mir dieser Mann aufzählen, welchen Vorteil es hat, dass er sich dieses Gartens annimmt. Er ist an der frischen Luft (Gesundheit). Seine Frau hat durch das Küchenfenster stets einen wunderbaren Ausblick (Ästhetik).

Sehen wir uns das ganze aus einer veränderten Perspektive an: Frau und Kinder dürfen im Garten keinen Finger rühren, denn es ist sein Revier. Der Mann ist seit längerem frustriert an seiner Arbeit und flüchtet nach dem Feierabend in seinen Garten. Auch dann, wenn Konflikte mit Frau und Kindern auftauchen, zieht er es vor, sich in den Garten zurückzuziehen und für Stunden nicht mehr ansprechbar zu sein. Und was die Nachbarn betrifft: Der Garten ist sein heimlicher Stolz; besonders einer Nachbarin in seinem Alter möchte er gerne damit imponieren. Er schätzt auch besonders die Begegnungen am Gartenhag.

Zugegeben ist dieses Beispiel etwas gestellt. Ich versuche dadurch etwas zu verdeutlichen: Vor Gott zählt nicht (nur) das äussere Ergebnis. Es geht Ihm vorrangig um drei andere Dinge: (a) Worauf ist unser Streben gerichtet (Zielrichtung)? Dem Mann in unserem Beispiel geht es in erster Linie um sich selbst. (b) Was setzen wir als Massstab an (Standard)? Der besagte Hobbygärtner hat sich einen eigenen Standard kreiert, an dem alle anderen (Frau, Kinder, Nachbarn) nur scheitern können. Es gibt genau eine Person in dieser Welt, welche ihn erreicht: Er selbst. (c) Geschieht es aus einem durch den Glauben gereinigten Herzen? Ohne Glaube ist es unmöglich Gott zu gefallen (Hebräer 11,6). Jetzt merken wir: Was nach „menschlichen“ Gesichtspunkten den ersten Preis abräumt, kann von einer Zielrichtung, einem Standard und einem Motiv getragen sein, das Gott missfällt.

Das Westminster Bekenntnis (16.7) schreibt über die Werke nicht wiedergeborener Menschen: „Werke, die von nicht wiedergeborenen Menschen getan werden – auch wenn sie der Sache nach etwas sind, was Gott befiehlt und was sowohl für sie selbst als auch für andere gut und nützlich ist (2.Kön 10,30-31; 1.Kön 21,27; 21,29; Phil 1,15-16; 1,18) –, sind dennoch sündig, weil sie nicht aus einem durch den Glauben gereinigten Herzen hervorgehen (vgl. 1.Mose 4,5 mit Hebr 11,4; 11,6) und weder in rechter Art und Weise (1.Kor 13,3; Jes 1,12), nämlich dem Wort gemäss, noch zu einem rechten Zweck, nämlich zur Ehre Gottes (Mt 6,2; 6,5; 6,16), getan werden. Sie können Gott nicht angenehm sein und machen einen Menschen auch nicht föhig, Gnade von Gott zu empfangen (Hag 2,14; Tit 1,15; Am 5,21-22; Hos 1,4; Röm 9,16; Tit 3,5). Und doch ist die Unterlassung solcher Werke noch sündiger und missfällt Gott noch mehr (Ps 14,4; 36,3; Hiob 21,14-15; Mt 25,41-43; 25,45; 23,23).“

Und wie steht es um die Werke von Wiedergeborenen? Hier hilft uns der Heidelberger Katechismus (Antwort 62) weiter: „Aber auch unsere besten Werke sind in diesem Leben alle unvollkommen und mit Sünde befleckt.“

Welche Haltung steht uns also an? Jesus beschreibt sie vorzüglich (Lukas 17,10): „Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren!“ Was könnte dies für unser Beispiel bedeuten? Wenn der Mann merkt, dass er innerlich Ehebruch begeht, könnte dies sogar zu einem Umzug in eine Wohnung ohne Garten führen. Es könnte sein, dass er sein Niveau nicht mehr halten kann, wenn er sich den familiären Konflikten stellt. Und die Gemeinschaft mit seiner Frau könnte sich verändern, wenn er sie selbst im geliebten Rosenbeet Hand anlegen lässt. Ganz abgesehen davon, dass auch die Kinder in der Gartenarbeit eingebunden werden könnten, anstatt drinnen zu zocken…