Kolumne: Für Sie hat es Platz, für dieses Buch nicht

Angeregt durch einen schwarzen Bruder, dessen Statement "Die Christen müssen wieder auf die Strasse gehen" und seine Gewohnheit, seine grosse Bibel im Zug demonstrativ auf das Tischchen zu legen und betend die Reaktion abzuwarten, habe ich mir eine ESV Thinline Bible gekauft (hier meine begeisterte Rezi) und eine 12er-Schachtel Buntstifte eingepackt.

Auf meinem 40-minütigen Arbeitsweg lese ich täglich in der Bibel. Dabei habe ich wenige einfache Prinzipien, vorab das Gebet Gott möge mir die Augen öffnen. Ich lese ein Kapitel sorgfältig durch und streiche es mit meinem Farbsystem an (so fein, dass der Lesefluss nicht wesentlich gestört wird). Wenn ich ein Kapitel nicht verstanden habe, zu müde oder zu abgelenkt war, wiederhole ich die Lektüre einige Male oder kehre am nächsten Tag dorthin zurück.

Dazu paart sich das Gebetsanliegen, dass mich Menschen auf meine Lektüre ansprechen. Meine Erfahrungen bis heute waren gemischt. Positiv fällt ins Gewicht, dass die Leute tatsächlich von ihrem Smartphone wegblicken, weil der Anblick so ungewöhnlich ist. Der Nachbar beginnt gewöhnlich mitzulesen, was mich sehr freut und weiter beten lässt. Ich merke auch deutlich den Widerstand, den dieses Buch in der Öffentlichkeit hervorruft.

Am schönsten ist es natürlich, wenn die andere Person auch eine Bibel hervorholt. Das ist mir bis jetzt nie mit Einheimischen, jedoch regelmässig mit ausländischen Passagieren passiert. Ein älterer Herr bemerkte beim Absitzen blitzschnell die Schachtel mit der Bibel und meinte, als ich höflich fragte, ob ich mich setzen dürfte: "Für Sie hat es Platz, aber nicht für dieses Buch." Beschwichtigend fügte er hinzu: "Dies war nur ein Spass." Es ist keiner. In unserer neuheidnischen Umgebung hat es für alles und jedes Platz, jedoch nicht für dieses Buch. Der Glaube ist aus der Öffentlichkeit verbannt.