Buchbesprechung: Warum die Lehre der Trinität ein Schattendasein fristet

Fred Sanders. The Deep Things of God: How the Trinity Changes Everything. Crossway, 2010.

Die Trinität ist der umfassende Rahmen, in dem sämtliches christliche Denken stattfindet. Das christliche Bekenntnis findet darin seine Grundvoraussetzungen. (781; Kindle-Position)

Ein Evangelium, das sich nur auf den Moment der Bekehrung bezieht, anstatt sich auf jeden Moment eines Lebens mit Christus zu erstrecken, ist zu klein. (1817)

The things of the gospel are depths. The things of the gospel . . . are the deep things of God. (Thomas Goodwin, 1600 – 1680)

Fred Sanders (* 1955, Biola University) hat sich in seinem beruflich (akademischen) Leben jahrzehntelang mit der Lehre der Trinität auseinander gesetzt. Er lüftete für mich den Schleier, weshalb diese Lehre zwar bejaht wird, jedoch ein solch stiefmütterliches Dasein unter Evangelikalen fristet. Nicht nur einmal bekam ich die Frage gestellt: Weshalb ist die Lehre der Dreieinigkeit dermassen wichtig? Wir wissen kaum etwas damit anzufangen. Sanders stellt zu Recht die Frage: „Wie kam es dazu, dass so viele Evangelikale heute gegenüber der Lehre der Dreieinigkeit kalt, bezüglich ihrer Bedeutung verwirrt sind und bezüglich ihrer Bedeutung unverbindlich bleiben?“ (100) Mit Blick auf den wundervollen trinitarischen Abschnitt in Epheser 1,3-14 – einem einzigen Mammutsatz von Paulus in der Form eines Gebets – meint er: „Wir alle denken aus unserer eigenen Sicht, ausgehend von einem Zentrum in uns selbst und wie die Dinge für uns aussehen.“ (1720) Deshalb benötigen wir zunächst eine tüchtige Dosis Desorientierung.

Immerhin können wir feststellen: Die Realität steht an erster Stelle, das Verständnis folgt ihr. „Wenn wir auch nichts anderes über die Dreieinigkeit sind wir uns zumindest bewusst, dass uns die ausdrückliche Leugnung auf die Liste der nicht-christlichen Kulte setzen würde.“ (112) Unsere Überzeugungen und Praktiken setzen die Lehre der Trinität voraus. Zu lange haben wir jedoch nicht über diese Voraussetzungen gesprochen (168). Dies wiederum ist Hinweis auf unseren Zustand. „Die Bewohner einer Kultur im Niedergang fühlen sich inmitten von Resten und Fragmenten von etwas, das für eine frühere Generation Sinn gemacht haben muss, das aber heute eher wie ein Haufen zusammenhangsloser Gegenständen anmutet. Kulturen, die im Niedergang begriffen sind, fühlen sich unfähig, die Gründe für die Verbindung von Dingen miteinander zu artikulieren.“ (1875) Dies führt zum unangenehmen Schluss, dass wir Gefahr laufen, in unseren Worten und Taten die Realität zu leugnen, auf der unser Leben basiert (173).

Wenn wir in die Kirchengeschichte zurückblenden, war ein robustes trinitarisches Verständnis von Erlösung „der Kern … des historischen evangelischen Glaubens“ (148). Sehen wir uns einmal an, was Evangelikale dauernd betonen. „Nichts von dem, was wir als Evangelikale tun, macht Sinn, wenn es von einem robusten erfahrungsmäßigen und lehrmäßigen Verständnis des koordinierten Werkes von Jesus und dem Geist, aus dem Horizont der Liebe des Vaters heraus erschaffen, getrennt ist. Persönliche Evangelisation, Gebet, hingebungsvolles Bibelstudium, autoritative Predigten, Weltmission und Heilsgewissheit: Sie alle setzen voraus, dass das Leben im Evangelium das Leben in Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott ist.“ (125) „Wenn wir die Bibel lesen, hören wir durch die inspirierten Worte die lebendige Stimme Gottes. Wenn wir im Namen des Sohnes zum Vater beten oder wenn wir über Jesus in der Kraft des Geistes Zeugnis ablegen, begegnen wir immer einer trinitarischen Realität.“ (335) Also gilt: „Das Evangelium ist trinitarisch, und die Trinität ist das Evangelium. Die christliche Erlösung kommt von der Trinität, geschieht durch die Trinität und bringt uns zur Trinität nach Hause.“ (135) Das Evangelium ist so tief, dass es nicht nur unseren tiefsten Bedürfnissen entspricht, sondern auch aus dem tiefsten Selbst Gottes kommt (189).

Gehen wir näher auf eine Problematik ein, wenn wir etwas betonen, den grösseren Zusammenhang jedoch gar nicht mehr erkennen. Eigentlich gilt: „Um etwas zu betonen, musst du einen größeren Korpus an Wahrheit voraussetzen, aus dem du auswählen kannst.“ (240) Diese Zusammenhänge sind uns abhandengekommen. „Menschen, die unter dem Einfluss eines reduktionistischen Evangelikalismus aufwachsen, leiden verständlicherweise unter einer ziemlich verwirrenden Orientierungslosigkeit.“ (255) Im dunklen Hintergrund existiert ein riesiges Netzwerk von miteinander verbundenen Ideen. Sanders hebt darum hervor: „Es bedarf nicht einer Änderung der Betonung, sondern einer Wiederherstellung des Hintergrunds, des Gesamtbildes, aus dem die betonten Elemente ausgewählt wurden.“ (296)

Worin besteht der erste Schritt zur Wiederherstellung des Gesamtzusammenhangs? „Der erste Schritt auf dem Weg zum Herzen des trinitarischen Geheimnisses besteht darin, zu erkennen, dass wir als Christen bereits tief in das dreieinige Leben eingebunden sind und deshalb zu Recht über diese gegenwärtige Realität nachdenken müssen.“ (556) Hier lauert gleich die nächste Gefahr. Wir schrecken davor zurück, uns mit einer Kopfwahrheit auseinanderzusetzen. „Die Lehre scheint sich von einem Geheimnis der Erlösung zu einem Problem der intellektuellen Kohärenz gewandelt zu haben.“ (700)

Sanders beschreibt die Verständnisbasis wie folgt: „Gott ist der Einzige, der aus sich selbst heraus lieben kann, dies aus trinitarischen Gründen: Gott der Vater liebt Gott den Sohn in der Liebe Gottes, des Heiligen Geistes.“ (1068) Dies ist von Ewigkeit her so. „Bevor es Zeit, Ort oder irgendein Geschöpf gab, bestand die gesegnete Dreieinigkeit in sich selbst.“ (1088) „Im glücklichen Land der Dreieinigkeit über allen Welten existiert Gott ewig als Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ (1568) Diese Perspektive ordnet unsere Prioritäten neu. „Gott ist dreieinig in erster Linie für sich selbst und nur in zweiter Linie für uns.“  (1420) Das Leben Gottes in sich ist die Quelle all des Reichtums, der im Heilsplan veriwrklicht. „Er kann diesen Geschöpfen Glück und Seligkeit zugänglich machen, weil er sie immer schon hat.“ (1598) Das bedeutet auch, dass die Dreieinigkeit und das Evangelium die gleiche Form tragen! „Die Gute Nachricht von der Erlösung heisst letztlich, dass Gott uns sein trinitarisches Leben öffnet.“ (1667) „Der lebendige Gott bindet sich an uns und wird unsere Erlösung, das Leben Gottes in der Seele des Menschen.“ (1999)