Buchbesprechung: Das Leben im dreieinigen Gott

Donald Fairbairn. Life in the Trinity. IVP: Nottingham, 2010. 272 Seiten. 13.50 Euro (Kindle-Version).

Die Kirchenväter ins Blickfeld rücken

Es ist insbesondere für ein Buch dieser Art wichtig, die Grundthese in Erfahrung zu bringen. Ich muss gestehen, dass die Sichtweise eine ungewohnte ist. Das deutet darauf hin, dass ich einen Aspekt, mit dem ich mich bislang nicht näher befasste, in Angriff genommen habe. Fairbairn rückt die Kirchenväter und ihre ausgedehnten Erörterungen zur Trinität ins Blickfeld. Er tut dies mit der Begründung, dass es unabdingbar sei, die Kirchenväter auf das schwierige Dogma der Trinität zu befragen. Erst dann verstehe man, aus welchem Rahmen heraus die Reformatoren geschrieben hätten. Tatsächlich bin ich mit dem dogmengeschichtlichen Fluss seit der Reformation ungleich besser vertraut als mit den Ausführungen der Kappadozischen Väter oder Augustins. Natürlich muss sich Fairbairn in erster Linie dem biblischen Text stellen. Ich kann es vorwegnehmen: Er setzt sich ausführlich mit Texten – insbesondere in Erinnerung bleibt mir Johannes 13-17 – auseinander. Insofern ist es ein sehr interessantes Unterfangen. Fairbairn bleibt stets bemüht einfach und flüssig zu schreiben. Die Zusammenfassungen am Kapitelende helfen, die Essenz der einzelnen Schritte zu verstehen.

Das Leben im dreieinigen Gott: Vergessenes Herzstück des christlichen Glaubens

Das Dogma der Trinität hängt unmittelbar mit dem christlichen Leben zusammen. Offensichtlich ist uns in dieser Hinsicht ein wichtiger Zusammenhang entgangen. Ich gehe davon aus, dass dies auf eine mangelnde Beschäftigung mit Systematischer Theologie zurückzuführen ist. Wir strecken uns nach 5-Schritte-Programmen, schnell und oberflächlich aus Bibeltexten abgeleitet, aus. Dabei entgehen uns die tiefer liegenden Zusammenhänge. Doch erst mal langsam. Welchen tieferen Zusammenhang erschliesst uns Fairbairn?

Erst einmal schlägt er die Brücke von der „Lehre“ zum „christlichen Leben“. In unseren Köpfen sind das zwei getrennte Bereiche. Theologie besteht aus Glaubenssätzen, und das christliche Leben aus dem, was wir eben Tag für Tag tun. Lehren sind „nur“ Konzepte und Ideen, also Objekte unseres Glaubens. Sie können in Statements gefasst und in Büchern abgelegt werden. Doch nehmen wir uns einmal einen gebräuchlichen Ausdruck vor: „Eine persönliche Beziehung zu Christus haben“. Was ist genau damit gemeint? An dieser Stelle merken wir, dass wir eine Wendung zu einem Schlagwort gemacht haben, dass uns jedoch der Inhalt dazu fehlt. Die frühe Kirche, so Fairbairn, trennte Lehre nicht vom christlichen Leben. Sie sah das Leben des Christen in direkter Verbindung zum Leben Gottes.

Damit sind wir bei der Hauptthese angelangt: Lehre weist auf Gott selbst hin. Es geht um das göttliche Leben, dessen wir teilhaftig geworden sind (2Petrus 1,3-4; Ps 82,6-7). Der griechische Ausdruck theosis steht für eben diese Tatsache. Wir sind Anteilhaber an der göttlichen Natur. Petrus fügt unmittelbar nach dieser Feststellung eine Liste von Tugenden an, also göttlicher Qualitäten, die durch die Teilhaberschaft entstehen. Während der griechischsprachige Osten eher den Gedanken der theosis weiter gepflegt habe, sei im lateinisch sprechenden Westen der Gedanken von Schuld und Vergebung im Vordergrund gestanden.

„Life in the Trinity“ – das Leben im dreieinigen Gott – sei das vergessene Herzstück des christlichen Glaubens. Das ist die These des Autors in einem Satz. Das Anliegen des Buches liegt also in der Integration von Lehre und Leben. Die Betonung ist wohl nötig, doch sie birgt auch Gefahren. Nur zu schnell – so meine ich – kann man in eine nicht mehr benennbare Jesus-Mystik abgleiten. Deshalb war ich gespannt, wie Fairbairn diesen Gedanken weiter entfalten würde.

Ein angemessenes Verständis der Theosis

Fred Sanders schreibt in seinem ausgezeichneten Review-Essay zum Buch: Fairbarn „geht sehr direkt auf die Bandbreite von Bedeutungen ein, welche die Lehre der theosis in der theologischen Tradition beinhaltet. Zu den drei einflussreichsten Möglichkeiten gehören
(1) die Teilhabe am Status der göttlichen Kinder, denen vergeben worden ist und die von Schuld befreit sind
(2) Teilhabe durch Gnade an göttlichen Eigenschaften und
(3) Teilhabe am Beziehungsgeschehen in der Form von Aspekten der Sohnschaft, insbesondere der Charakter seiner Gemeinschaft mit der Vater
Fairbairn befürchtet, dass die erste Möglichkeit zu wenig aussagt (und in der Tat würden nur wenige Menschen die Sprache der theosis verwenden, wenn sie sich auf den geänderten Status beziehen) und der zweite sagt zu viel (da er in den Händen von ungefestigten Lehrern tatsächlich in die Irrlehre abgleitet).“ Fairbairn empfiehlt die dritte Option als die "beste und biblisch begründetste“ an (11), weil die These seines Buches lautet, dass "unsere Teilhaberschaft an der Vater-Sohn-Beziehung“ im Mittelpunkt unserer Beziehung mit Gott stehe (37). Der Autor verzichte jedoch grösstenteils auf die Sprache der theosis, wobei er den Leser gleichzeitig in einer biblisch gegründeten Interpretation der Kirchenväter anleitet.

Ein Gang durch die Heilsgeschichte mit trinitarischem Fokus

Im zweiten Kapitel „Das Herz des Christentums“ fokussiert Fairbairn auf die Abschiedsrede von Jesus in Johannes 13-17. In diesem Abschnitt werden viele wichtige trinitarische Aussagen gemacht. Der Schlüssel, um die Verbindung zwischen christlicher Lehre und christlichem Leben herstellen zu können, sei die ewige Beziehung der Dreieinigkeit untereinander. Jesus beschreibt die ewige Beziehung zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn. Diese Beziehung verbindet wiederum Gottes Leben mit dem unsrigen. Unsere Teilhabe an dieser Vater-Sohn-Beziehung, so stellten die frühen Väter heraus, stehe im Zentrum unserer Teilhaberschaft an der göttlichen Natur.

Das dritte Kapitel widmet sich dem weiteren Kontext der Abschiedsrede von Jesus innerhalb der christlichen Lehre. Das Verständnis des dreieinigen Gottes ist eng mit dem verbunden, was Gott für den Menschen beabsichtigte. Die Vision des Lebens eines erlösten Menschen unterscheidet sich grundsätzlich von dem anderer Religionen. Erlösung getrennt von Christus ist unerreichbar, weil Christus selbst die Erlösung ist. Die Erlösung besteht in der Teilhabe an der Beziehung Christi zu seinem Vater („salvation is our sharing in Christ’s relationship to his eternal Father“).  Die Aufgabe des Geistes besteht darin, uns in diese Beziehung hinein zu führen.

Im vierten Kapitel geht es darum, das Leben am Anfang der menschlichen Geschichte, also vor dem Sündenfall, darzustellen. Die Liebe der drei Personen der Gottheit sollte sich in veränderter Haltung und Beziehung unter den Menschen widerspiegeln. Offensichtlich haben wir diese Kraft des Geistes jedoch verloren. Das stellt die Erklärung für die Grundfrage dar, warum Menschen nicht mehr nach dem leben, was ihren inneren Idealen entspricht.

Das fünfte Kapitel geht dann einen Schritt weiter, um sich genauer mit dem Sündenfall auseinander zu setzen. Was ging schief? Wir verloren die Beziehung des Sohnes zum Vater, wie sie Adam und Eva vor dem Fall genossen hatten. Durch deren Stolz wurden sie unzufrieden mit den Bedingungen als Geschöpfe. Die Sünde entstellte (twisted and marred) den menschlichen Charakter.

Fairbairn verfolgt den heilgeschichtlichen Pfad aus trinitarischer Optik weiter. Im sechsten Kapitel  untersucht er den Weg, den Gott mit der Menschheit zwischen Fall und dem Senden seines Sohnes verfolgte. Es geht um die Verheissung und die Vorbereitung der Welt für Gottes Sohn. Dieses Kapitel ist insofern erhellend, als es mit Hilfe der Brille der Kirchenväter hilft, die alttestamentliche Botschaft im Licht der Gesamtbotschaft zu lesen. Die Menschen sollten ihre Hoffnung in die Verheissung Gottes setzen, der einen Erlöser versprochen hatte.

Durch die Menschwerdung wurde der einzige Sohn der erstgeborene Sohn (siebtes Kapitel). Die Menschwerdung war ein Akt Gottes: Sein Sohn nahm volle Menschengestalt an, also einen menschlichen Körper und eine menschliche Seele. Durch die volle Teilnahme an menschlicher Erfahrung sollte sein Sohn die Menschheit heilen und sie mit Gott versöhnen. Nur Gottes Sohn konnte uns die Gemeinschaft zurückgeben.

Der Sohn Gottes ist nicht nur Mensch geworden, sondern auch gestorben, begraben worden und auferstanden (achtes Kapitel). Der zweite Adam stellte die durch den Fall des ersten Adams verloren gegangene Sohnschaft wieder her. Der Tod entfremdete Jesus (als Mensch) vom Vater. Auferstanden und in den Himmel aufgefahren, ist er in seiner Menschheit mit Vater und Geist wieder vereint. Der Vater empfing ihn als denjenigen, der stellvertretend den göttlichen Zorn getragen hatte.

Das neunte Kapitel wendet sich der Frage zu, was passiert, wenn jemand Christ wird. Er wird mit Christus vereinigt und wird nach seinem Tod mit ihm auferstehen. Der Heilige Geist bringt einen Menschen in diese Vater-Sohn-Beziehung. Durch diese Anteilhabe kommt er in den Genuss der Folgen der Errettung (wie Rechtfertigung und Versöhnung).

Im letzten Kapitel blendet der Autor auf das christliche Leben.  Durch die Teilhabe am Leben Christi reflektieren wir die göttliche Gemeinschaft (Heiligung). Das wichtigste Bild der Gemeinschaft ist das Essen und Trinken. Es beinhaltet auch das (Mit-)Leiden, wie schon Christus leiden musste.