Daniel Facius vom Bibelbund hat das neue Buch von Jürgen Mette "Die Evangelikalen – weder einig noch artig" ausführlich rezensiert. Sein Fazit:
Insgesamt hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Die Situationsbeschreibung der evangelikalen Bewegung ist sicher in mancher Hinsicht zutreffend, wobei die theologische Deutung, der Leib Christi sei „segmentiert, amputiert und ramponiert“ (S. 245) zu hinterfragen wäre. Die Schilderung des Glaubenswegs des Autors ist so authentisch wie traurig, man wünscht ihm förmlich den „wunderschönen und unbekümmerten“ Glauben seiner Kindheit zurück, in der die Bibel Fix- und Drehpunkt seines Lebens war. Warum er diesen Glauben aufgegeben hat, bleibt bis zum Ende unklar. Nachvollziehbar dagegen ist das Verlangen nach gnädigerem Umgang miteinander im christlichen Dialog, der in der Tat zu oft von liebloser Rechthaberei und Verächtlichmachung des Gegenübers geprägt ist – kein gutes Zeugnis für Nachfolger Christi. Auch im Hinblick auf die gegenseitige Wertschätzung und die Toleranz in zweitrangigen Fragen ist Mette sicher Recht zu geben – zu viele Streitigkeiten, zu viele Spaltungen geschehen aus Gründen, die eine solche Spaltung nicht rechtfertigen. Problematischer erscheinen dagegen die Visionen einer gesellschaftlich relevanten, politischen Kirche. Jesu Reich ist eben „nicht von dieser Welt“ und weder Jesus noch die Apostel haben sich allzu ausführlich zum Pflegenotstand oder der Altersversorgung der nächsten Generation geäußert, obgleich das damals sicherlich noch drängendere Themen waren als heute. Natürlich gehört diakonisches Handeln zum Auftrag der Gemeinde – aber ist es wirklich das „Wesentliche“?
Und noch ein Weiteres muss verwundern: das fast völlige Fehlen einer Auseinandersetzung mit der „Wahrheit“. Mette schreibt viel über Gnade und Liebe, geht aber kaum darauf ein, dass Jesus gekommen ist, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben (Joh 18,37) und seine Gemeinde als Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit baut (1Tim 3,15). Wer ernsthaft an einer Beilegung von innerevangelikalen Streitigkeiten interessiert ist, muss sich vordringlich mit dem Problem befassen, wie sich Liebe und Gnade und Wahrheit zueinander verhalten. Nicht jede inhaltliche Auseinandersetzung, nicht jede Kritik ist nämlich per se „ungnädig“. Auch scheint Mette die Frage des Schriftverständnisses als zweitrangig aufzufassen. Schon damit wird er auf entschiedenen Widerspruch bei den Bekenntnis-Evangelikalen stoßen (müssen), die übrigens zu Recht darauf hinweisen, dass ein Nachfolger Jesu auch und gerade von dessen Schriftverständnis lernen sollte, in dem für die „Option des Unglaubens“ keinerlei Raum ist. Ohne eine gemeinsame Überzeugung von der Bedeutung und Qualität der Grundlage (!) des christlichen Glaubens, der Heiligen Schrift, wird man zwar gnädig und liebevoll diskutieren, zu einer wirklich vertieften Einheit aber kaum kommen können.
Nachtrag: Ron Kubsch trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er die hausgemachten Probleme des Evangelikalismus grundsätzlich anders verortet.
Viele Probleme der Evangelikalen sind in der Tat hausgemacht. Vielleicht liegen aber die Ursachen ganz woanders als wie Mette vermutet: Der enorme theologisch-geistliche Substanzverlust unter den Evangelikalen hat zu einer inneren Verunsicherung geführt, so dass kaum noch mit Überzeugung und Freude missioniert wird. Die Evangelikalen schwimmen mit dem Strom. Sie haben den Menschen nichts mehr zu geben, was diese in ihrer Kultur nicht sowieso vorfinden. Was uns weiterbrächte, wäre eine denkerische Aufarbeitung der Verunsicherung und eine daraus resultierende konfrontative und missionarische Ausstrahlung.