Zitat der Woche: Die Reichen haben je und je Gelegenheit, Gott Opfer zu bringen

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Über Johannes Calvin kursieren (noch immer) viele Gerüchte und Mythen; die Forschung hat inzwischen viele dieser Überlieferungen korrigiert. Zur Einführung empfehle ich Schirrmachers Vorwort zur Ausgabe der Institutio von 1536. Er schreibt dort:

Es gibt inzwischen umfangreiche Untersuchungen, die gezeigt haben, wie Calvin parallel zu seinen umfangreichen exegetischen Studien, Vorlesungen und Veröffentlichungen entsprechende Temen seiner Dogmatik umgearbeitet und erweitert hat. Calvins umfangreichstes Werk sind seine Kommentare und nur von dorther sind seine anderen Schriften zu verstehen. Die Schrift und ihre Auslegung regieren die Dogmatik, nicht umgekehrt.

Der Geburtstag des Reformators der zweiten Generation hat sich eben gejährt. In einem bisher unveröffentlichten Manuskript habe ich 20 Stellen aus seinem breit angelegten Werk zusammengetragen. Ich zitiere aus seiner Predigt zu Deut 15,11-15 (es lohnt sich, diesen Abschnitt in der Bibel nachzuschlagen):

Wenn er sagt: Es wird immer Arme geben, dann gilt, dass die Reichen je und je Gelegenheit haben werden, Gott Opfer zu bringen, wie er sie verlangt. Von dem, was in ihren Händen ist, sollen sie denen geben, die Mangel leiden. Das muss aber wohlbedacht geschehen, d. h. man soll sich um die kümmern, die es wirklich nötig haben. Demgegenüber aber, wenn man wahllos gibt und der Bettel in Gassen und Häusern erlaubt ist, so ist das eine schlechte Sache und gegen jede rechte Ordnung. So wird nur Verwirrung gestiftet. Man ernährt die, welche die Stirne haben zu betteln, zu ihrem eigenen Schaden, wie gesagt.

Bleibt übrig, jetzt diese Lehre zu praktizieren: Zum ersten sollen wir erkennen, dass Gott uns dringt, Gutes zu tun und uns anzustrengen, wenn Hunger herrscht und Teuerung. Jeder soll eher seinen Bissen teilen als zu dulden, dass andere Mangel leidet, während man im Überfluss lebt. Und wenn viele eine Missernte erwarten, [deshalb] sparen und nach größeren Brocken schnappen, dann sollen wir erst recht erkennen, dass Gott uns ermahnt und – wenn immer wir ihm die Ehre gaben mit den Gaben, die er uns anvertraute – jetzt will, dass wir damit ernst machen. Das wäre das eine. Wo Armut und Bedürftigkeit groß werden, sollen wir erkennen, dass Gott uns wach rütteln will, damit wir nicht einschlafen. Er mahnt uns in Notzeiten an unsere Aufgabe, nämlich dass jedem von uns viele Möglichkeiten zur Hilfeleistung gegeben sind.

Zum andern sollen wir beachten, dass wir Befehl und Order haben, den Bettel nicht zu dulden. Er ist nichts als ein böses Geschwür. Man hilft dem, dem man gibt, im Grunde nicht. Man verdirbt sie vielmehr, und sie verhärten sich, wie gesagt, und zuletzt gefällt ihnen ihre Bettelei sogar, so dass sie ihren Bettelsack mehr lieben als eine sichere Rente.

Calvin-Studienausgabe. Band 7. Predigten über das Deuteronomium und den 1. Timotheusbrief (1555/56). Neukirchener: Neukirchen-Vluyn, 2009. S. 71-72.