Beglückt lese ich die neu erschienene Reformierte Ethik von Bavinck. In der Einleitung weisen die Herausgeber darauf hin, dass dieses Werk deshalb nicht erschien, weil Bavinck im Laufe der Zeit mit dem Aufbau und der Form nicht mehr zufrieden gewesen sein dürfte. Er berücksichtigte später die philosophische Ethik mit einem eigens vorausgehenden Teil stärker.
Vergleicht man all diese Manuskripte, so zeigt sich, dass Bavincks Interesse an der Philosophie in seinen Jahren in Kampen zugenommen hat. Zumindest müssen wir feststellen, dass die Philosophie bis 1902 zu einem ernsthaften Gesprächspartner für Bavinck geworden ist. Es scheint, dass Bavinck überzeugt war, dass es sich die reformierte Ethik nicht mehr leisten konnte, die Philosophie zu vernachlässigen. Wir sehen dies in seiner Vorlesung bzw. seinem Booklet “Heutige Moral” von 1902 und in seiner Rede “Ethik und Politik” von 1915. Philosophisches Engagement hat in beiden Publikationen einen wichtigen Platz. Gleichzeitig sehen wir eine abnehmende Zahl von Referenzen auf die Schriften der protestantischen Theologen des 16. bis 18. Jahrhunderts.
S. xlii
Ich bin dankbar, dass die erste Version erhalten geblieben ist. Bavinck wählte einen dreiteiligen Aufbau mit Schwerpunkt theologische Anthropologie.
I. Die Menschheit vor der Bekehrung, im Zustand der Sünde, des Gewissens, der Moral; das ist das Reich der natürlichen Ethik.
S. 23
II. Bekehrte Menschheit: das neue Leben in seiner Vorbereitung, seinem Ursprung, seinen Aspekten, Umständen, seinen Hilfsmitteln, Segen, Zeichen, Krankheit und Tod, seiner Erfüllung; dies ist das Reich der praktischen Theologie.
III. Erneuerte Menschheit in Familie, Berufung, Gesellschaft, Staat und Kirche.
Bavinck bleibt bei der identischen Methodik wie in seiner Dogmatik. Dieser Dreiklang ist sehr hilfreich.
1. Wir müssen das Material aus der Heiligen Schrift sammeln und das, was sie über Sünde, Wiedergeburt, Heiligung, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und so weiter lehrt, aufbereiten.
2. Wir müssen sorgfältig prüfen, wie die christliche Kirche mit diesem Material umgegangen ist, insbesondere mit den reformierten Kirchen, wobei wir dies zur Kenntnis nehmen müssen:
a. die Art und Weise, wie Denker das ethische Dogma sehr ernst nahmen; alle “älteren Schriftsteller” [oude schrijvers] müssen hier berücksichtigt werden.
b. die Formulierung dieses “ethischen Dogmas” in den Bekenntnissen; die Ernte ist hier nicht reich, obwohl es etwas zu entdecken gibt; z. B. im Heidelberger Katechismus sind die Tage des Herrn 34-52 völlig ethisch ausgerichtet.
c. in welcher Weise und in welchem Umfang dieses “ethische Dogma” im Leben der Christen, insbesondere in der reformierten Kirche, zum Ausdruck kommt; dem muss große Aufmerksamkeit geschenkt werden.
3. Schließlich müssen wir dies normativ weiterentwickeln und auf unseren eigenen Tag anwenden, indem wir insbesondere aufzeigen, wie wir ethische Dogmen vervollständigen können.