Buchbesprechung: Es rumort gewaltig in Evangelikalien, und es geht um Wesentliches

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Markus Till. Zeit des Umbruchs: Wenn Christen ihre evangelikale Heimat verlassen, Brockhaus 2019

10+1 Zitate zum Buch: Aufgriff aufs Zentrum und Regeln für den Kampf

Podcast (18 Minuten) mit einer Reflektion zum Buch

Warum ich dieses Buch verschlang
Es ging mir ähnlich wie bei Parzanys Buch „Was nun, Kirche?“ (Kurzrezension; Anwendung „Was nun, Freikirchen?“).  Ich brauchte weder Kalendereintrag noch Kaffee fürs Lesen. In zwei „Zügen“ war das Buch durch. Es rumort gewaltig in „Evangelikalien“. Diese meine Einsicht kommt nicht von gestern, sondern beschäftigt mich zehn Jahre. (eben gebloggt: „6 Gründe für die Flucht in den Post-Evangelikalismus“).

Sag mir kurz, worum es geht.
Markus Till fasst die wichtigsten Argumente, Vorurteile und Missverständnisse von evangelikaler und post-evangelikaler Seite zusammen, bevor er den Kern der inhaltlichen Differenzen anhand von vier Fragen beleuchtet. Er versäumt es nicht, gerade angesichts der Kontroversen über die Art und Weise der Diskussion und des Dialogs nachzudenken und einen freudigen Blick in die Zukunft zu werfen. Damit aus dem Umbruch kein Abbruch, sondern ein Aufbruch werde.

Der Autor zu des Pudels Kern
„So wichtig Fragen nach Strukturen, Gottesdienstkultur, Personal, Finanzierung oder Ethik sind, sosehr ich für Fortschritte bei der Digitalisierung und für christliches Engagement in der Politik bin – die Zukunft der Kirche wird sich daran nicht entscheiden. Aber beim Bibelverständnis, bei unserer Sicht von Jesus, bei der Frage nach der Bedeutung des Kreuzestodes und bei der Auferstehung geht es um das Innerste vom Inneren der Kirche.“ (156)

Für alle, denen es jetzt schon zu lange wird: Wer schreibt?

Der promovierte Biologe und – viel wichtiger – Jesus und darum Bibel-Liebhaber Markus Till rieb sich nicht nur verwundert die Augen, um sich dann hinter die eigenen Gartenhecken zurückzuziehen. Er bloggte, beantwortete geduldig hunderte von freundlichen und weniger freundlichen Kommentaren in den sozialen Medien und scheute auch „Feindkontakt“ keineswegs. Markus Till ist Ireniker, also einer, der „sich auf das gemeinsame Fundament des christlichen Glaubens zu besinnen und von dort ausgehend in einen offenen Diskurs über die Unterschiede“ tritt.

Till im Original: „Ich hatte immer gedacht, mein Fokus würde dauerhaft auf Lobpreis, Gebet und dem von mir entwickelten Glaubenskurs »Aufatmen in Gottes Gegenwart« liegen, den wir seit Jahren sehr erfolgreich in meiner Heimatgemeinde durchführen und der inzwischen auch in weiteren Gemeinden Anwendung findet. Doch plötzlich fand ich mich inmitten von heißen Debatten über die Bibel wieder. Und meine innere Frage wurde immer größer: Was passiert hier eigentlich? Warum streiten sich Christen miteinander?“ (14)

Nur kurz: Meine eigene Positionierung
Ich bin Personalentwickler, Mitte Vierzig, glücklich verheiratet, mit fünf heranwachsenden Söhnen, Vielleser und Blogger. Ich stehe ausserhalb der Landeskirchen, lasse mich gerne in die Schublade „Reformierter“ stecken („Mein christliches Bekenntnis“ in 10 Minuten) und gehöre wohl in die „Ekelzone“ der Universitätstheologie.

Wem empfehle ich das Buch?
Ich spreche zwei Gruppen von Lesern an, die das Buch wohl nicht ohne weiteres in die Hand nehmen würden. Zuerst nenne ich die mit sich selbst zufriedenen Christen, auf deren Nachttisch der Urlaubskatalog liegt und die um jeden Preis Konflikte vermeiden wollen („was streiten sich diese theologischen Freaks immer um Details?“). Ihnen lege ich die Lektüre besonders ans Herz.

Zweitens geht meine Empfehlung an alle, denen sich schon beim Klang des Wortes „Postevangelikaler“ Brechreize einstellen. Noch etwas genauer: Die sich schon seit geraumer Zeit aus der „Zwangsjacke“ eines engen Glaubens befreit haben und durch die Wendungen ihrer Lebenswirklichkeit trotzdem mit untergründigen Zweifeln geplagt sind. Zudem solche, die kurz vor oder nach dem kompletten Wechsel ins säkulare Glaubenssystem stehen.

Kannst du etwas zum Leseerlebnis sagen?
Zunächst war ich vom Grundton des Buches überrascht. Zur inhaltlich fundierten Auseinandersetzung gesellt sich ein leidenschaftlicher und freudiger Grundton. Till hält sein Versprechen ein, seine Sätze für Laien verständlich zu halten. Für 250 Seiten mit acht Kapiteln und jeweils mehreren Argumenten enthält der Band zahlreiche Aspekte. Der Autor hat mich jedoch nicht abgehängt. Till lebt für mich besonders im mittleren Teil, wenn er eindrücklich die beiden Fragen zur Kreuzestheologie und zur Bibelfrage bespricht.

Ist das Buch auch für Nicht-Landeskirchler und Nicht-Fans von Gebetshäusern verdaulich?
Ja, ich würde sogar noch weitergehen: Jeder Familienvater sollte mit seinen heranwachsenden (oder erwachsenen) Kindern die inhaltlichen Hauptpunkte unter Wahrung der vorgeschlagenen Dialogkriterien besprechen. Auch wenn ich Till am Schluss nicht gänzlich folgen kann, wäre ein Beiseitelegen verfehlt.

Kannst du noch etwas Ermutigendes zum Schluss sagen?
Natürlich! Werde zum Vordenker des Aufbruchs durch
a) erwartungsvolle Lektüre der Bibel: „Ohne regelmäßiges Lesen in der Bibel in einer Grundhaltung des erwartungsvollen Empfangens und der demütigen Offenheit fehlt uns eine entscheidende Grundlage des christlichen Glaubens.“ (207)
b) hingebungsvolle Fürbitte: „Wenn wir Gottes Hand suchen, beschäftigen wir uns vor allem damit, was er für uns tun soll. Gottes Angesicht zu suchen bedeutet hingegen, dass wir in erster Linie die Gemeinschaft mit Gott selbst suchen.“ (209)