Standpunkt: Kirchliche Bekenntnisse werden vom Säkularismus verschlungen

Passendes Buch:

Hier klicken

Ich habe mich mit der Geschichte des Bekenntnisses in den Reformierten Kirche der deutschen Schweiz auseinandergesetzt. Dazu las ich Teile der Dissertation „Umstrittene Bekenntnisfreiheit“ (2003) sowie die Verschriftlichung von Ringlesungen an der Universität Zürich „Freiheit im Bekenntnis“ (2000). Hochinteressant ist dieser Aufsatz über die Abschaffung des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses in der Waadt im Jahr 1839.

Sehr interessant sind auch die Aussagen im„Handbuch der Reformierten Schweiz“ (1962), die im Abschnitt „Zum Problem der Volkskirche“ etliche Thesen zu dieser Bekenntnisfreiheit festhält.

1. Unsere Kirchen sind bekenntnisfreie Kirchen. Die einzige bekenntnismäßige Verpflichtung ist das Ordinationsgelübde des Pfarrers. Dieses aber hat nicht einen theologischen, lehrhaften Charakter.

2. Die Bekenntnisfreiheit ist vom Staate nicht und von der Seite der politischen Parteien kaum angefochten. Im Gegenteil. Der Staat hat ein Interesse, daß möglichst weite Kreise des Volkes der mit ihm verbundenen Kirche angehören.

3. Dagegen wird die Bekenntnisfreiheit aus kirchlichen Kreisen attackiert. Es wird geltend gemacht, daß das Bekennen zum Wesen der Kirche gehöre und daß deshalb eine bekenntnisfreie Kirche ein hölzernes Eisen sei. ln der Bekenntnishaltung der Kirche wird ein Ausdruck ihrer Einheit nach innen und außen gesehen.

4 Daß das Bekennen eine legitime Funktion des Glaubens ist, ist nicht zu bestreiten. Jede lebendige Kirche bekennt. Auch unsere Kirche bekennt durch ihre Predigt, ihren Gottesdienst und ihr Gemeindeleben.

5. Das Wortbekenntnis garantiert die Einheit des Glaubens und der Lehre nicht ohne weiteres. Die protestantischen Kirchen Deutschlands sind bekennende Kirchen, aber sie haben deswegen nicht eine größere Einheit. Diese Einheit wäre nur durch den Einsatz einer mit Macht versehenen Entscheidungsinstanz zu erreichen. In der alten Kirche übte diese Funktion erst der Staat aus, in der katholischen Kirche der Papst. Die Forderung nach Bekenntniseinheit erwächst aus der Identifikation von Kirche im Glaubenssinn und Kirche im Rechtssinn. Diese Vertauschung ist evangelisch unangängig. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen verwehrt uns, innerhalb der Kirche im Rechtssinn die Zugehörigkeit zur Kirche im Glaubenssinn zu entscheiden. Mat. 25 postuliert die Einheit in der Liebe.

6. Hängige Probleme: Als minimale Postulate sind zu erwarten: Taufe als Zugehörigkeitsbedingung zur Kirche, Ausgestaltung des Ordinationsgelübdes, Amtsgelübde der Kirchenpfleger und der übrigen Amtsträger.

Einige Erkenntnisse aus dem Studium:

  • Das wird jeweils nur beiläufig erwähnt: Die Ereignisse der französischen Revolution mit dem ad interim-Regime wirkten sich tief in die Gesetzgebung hinein aus. In der Kirchenordnung von 1803 war die Verpflichtung auf das Zweite Helvetische Bekenntnis stillschweigend verschwunden.
  • Die ur-liberale Theologie und ihre Festsetzung in den 1830ern im Kanton Zürich beschleunigten die Abschaffung sogar des Apostolikums in den Tauf- und Abendmahlformularen 1868.
  • Das Begründungsmuster war stets dasselbe: Die Veränderung des Weltbildes, das keine übernatürlichen Ereignisse mehr zuliess, also das geschlossene Weltbild durch die Säkularisierung. Jungfrauengeburt, Höllenfahrt, aber auch Auferstehung und jüngstes Gericht waren nicht mehr tragfähig.
  • Die Höhergewichtung der menschlichen Vernunft als kritischer Instanz schob sich zwischen die Schrift und damit auch das Bekenntnis. Die Offenbarungsautorität wurde durch die Vernunftautorität abgelöst. In dieser Gefangenschaft blieb die Kirche seither – trotz Barth.
  • Praktisch jeder Rückgriff auf das Praxis des Bekennens nimmt Bezug auf die Position von Karl Barth. Ich habe seine Vorlesung von 1923 zu den Reformierten Bekenntnissen kurz rezensiert. Von Plasger liegt eine Monografie „Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth“ vor.
  • Der Widerstand im Apostolikumstreit  geschah durch folgende Instrumente: a) Bildung von Netzwerken („Gesellschaften“); b) regelmässige Treffen unter den Pfarrern; c) Publikationen und Flugschriften (heute kommt den Blogs diese Funktion zu; d) öffentlichkeitswirksame Artikel und Stellungnahmen; e) Privatschulen und Lehrerbildung
  • Die Wiederaufnahme des Bekennens hat trotz ihres situativen und individuellen Elements sei im kirchlichen Sand verlaufen (siehe dieser Bericht).
  • Weltweit legen die Religionen wieder an Gewicht zu – die weltweite Säkularisierungsthese ist widerlegt (siehe „Die Welt des 21. Jahrhunderts wird religiöser als je zuvor“).
  • Ich behaupte, dass die verfolgte Kirche weltweit diesen verfremdeten, säkularisierten Glauben längt über Bord geworfen hätten.
  • Vorerst haben wir jedoch die Realität des vollständigen Ausschlusses eines auf die Bibel gegründeten Glaubens auf dem Marktplatz der öffentlichen Meinung zu gewärtigen (siehe „Die grösste Herausforderung für die Kirche im Westen“).