Der Sozialethiker Arthur Rich, Schüler von Emil Brunner, schreibt über seinen Lehrer Emil Brunner (in Emil Brunner in der Erinnerung seiner Schüler, S. 80-81):
Emil Brunner war ein scharfer, strenger und hartnäckiger Denker. Seine Ansprüche an das Denkvermögen und an den Denkwillen der Studenten waren auch dementsprechend hoch. Ich erinnere mich noch gut an eine Seminarsitzung im Sommersemester 1936. Zur Diskussion stand die Freiheitskonzeption Augustins im Zusammenhang seiner Prädestinationslehre. Wie vertragen sich menschliche Freiheit und göttliche Vorsehung zueinander? Wir taten uns an dieser dornenvollen Frage schwer und fingen an zu resignieren. Da hat uns Emil Brunner angefahren: «Sie dürfen nicht so schnell aufgeben. Sie müssen noch viel eindringender nachdenken. Erst dann denken Sie wirklich, wenn Denken weh tut.» Dieses Wort, daß Denken weh tut, wenn man es wirklich betreibt, hat mich damals tief getroffen und ist mir seither stets gegenwärtig geblieben. Es wurde mir zu einem Stachel in meiner ganzen Arbeit. Dabei ging mir, je länger je mehr, etwas auf, was ich an Emil Brunner immer bewundert habe: der tiefere Grund für die Durchsichtigkeit, Verständlichkeit und Einfachheit der Sprache in seinen Vorlesungen wie in seinen wissenschaftlichen Werken, die ihn zu einem der besten theologischen Prosaisten unserer Zeit machte. Dahinter steht nicht nur, aber doch wesentlich sein unnachgiebiges, den Schmerz nicht scheuendes und den Dingen auf den Grund gehendes Denken. Nur wer eine Sache in ihrem Eigentlichen durchackert, begriffen und verstanden hat, wird von der Wahrheit angerührt und vermag sie auf einfache, begreifliche und verständliche Worte zu bringen. Dabei geht es um eine Einfachheit, die mit Simplizität nichts zu tun hat, sondern ein Zeichen für Reifes, Wahres und Gültiges ist.