Durch den Hinweis von Blogger Sergej («Goldene Honigtöpfe») wurde ich auf die Vorlesungsreihe zur Reformation am Master’s Seminary (Überblick & Ressourcen bei Justin Taylor) aufmerksam. Ich habe sie mir in den letzten Wochen unterwegs (10 Hinweise für Zeiten im Stau) angehört.
Warum sollte man der Reformation gedenken? Lesen Sie den übersetzten Aufsatz von Carl Trueman; ebenso den Artikel «Warum ich Protestant bin».
Hier einige Lernpunkte aus der Vorlesungsserie:
- Seine Unterrichtsgestaltung: Sein Umgang mit Fragen (nur wenn sie in den Fluss der Erläuterungen passen); seine Abgrenzung in den Pausen zur Erholung; seine Ernährung (dies mehr im Sinne eines Fragezeichens).
- Sein Zugang zur Geschichte: Es ist faszinierend, wie Trueman seine Neugier greifbar werden lässt. Er fragt sich dauernd: Weshalb taten Menschen, was sie taten? Er hütet sich vor übereiliger Verurteilung und anachronistischer Interpretation. Er will den Denk- und Erlebensraum erkunden.
- Seine stetige Anwendung auf das geistliche Leben: Trueman ist nicht nur Akademiker, sondern auch Pastor. Es lohnt sich, seine Ausführungen über die Predigt des Wortes Gottes anzuhören und zu erfahren, wie er dabei von Luther beeinflusst wurde.
- Der Einfluss des Lebensverlaufes: Trueman sieht die Person eingebettet in ihre Umgebung und Zeit. Er betrachtet ihn als Sohn eines Hüttenmeisters, der in ihm eigentlich einen Juristen haben wollte, der die komplexen Verträge lesen und aufsetzen konnte. Luther sah sich als Bauer. Sein Denken war mittelalterlich. Man geht fehl, wenn man sich nicht zuerst in seine Welt (ländlich, ohne heutige Technologie) versetzt.
- Die Wichtigkeit der Frühzeit: Trueman begründet glaubhaft, warum die Frühzeit bei Luther die entscheidende ist. Die wenig bekannte Disputation von 1517 sowie diejenigen von Heidelberg und von Leipzig (1518 bzw. 1519) werden ins Blickfeld gerückt, ebenso wie seine berühmten drei Schriften von 1520 sowie seine später stattfindende Auseinandersetzung mit Erasmus.
- Die allmähliche Entwicklung der Rechtfertigungslehre: Trueman zeigt auf, dass sich das Bewusstsein der Rechtfertigung allein aus Glauben innerhalb von Jahren herausgebildet hat. Er verweist auf die Psalmen-, die Römer und die Galatervorlesung.
- Das Endzeitbewusstsein: Die ersten Jahre sind von der Vorstellung geprägt, dass die Endzeit angebrochen war. Das erklärt die Vernachlässigung der Ethik. Trueman nennt seine Katechismen, die der katastrophalen Ausbildung der Pfarrer entgegenwirken sollen, als weitere Pflichtlektüre.
- Die Gefahr des Langzeitdienstes: Luthers Stern waren spätestens nach 1525 (Bauernkrieg) im Sinken begriffen. Dies wird sauber herausgearbeitet. Seine Schrift gegen Bauern und in seiner späten Zeit gegen die Juden werden sauber kontextualisiert.
- Luther war kein Evangelikaler: Einige Personen – so C. S. Lewis oder Dietrich Bonhoeffer – werden von Evangelikalen in ihre Verhältnisse «eingepasst». Das ist jedoch eine Art der «Steinbruchtheologie». Luthers Verständnis der Sakramentslehre (Realpräsenz) und das daraus hervorgehende Gesamtverständnis ist weit von diesen Vorstellungen entfernt!
- Keine Heldenverehrung: Trueman gibt unumwunden zu, dass er viel lieber mit Luther als mit Calvin zusammen gelebt hätte. Der existenzielle Bezug seiner Theologie wirkt anziehend. Durch die gesamten Vorlesungen wird jedoch eines deutlich: Luther wurde massgeblich von Gott gebraucht. Er war jedoch, was er selbst verkündigte – Gerechtfertigter und Sünder zugleich.
Trueman empfiehlt u. a. die neuere Biografie von Lyndal Roper. Ich habe mir das Hörbuch besorgt und bin begeistert. Geschlagene 10 Jahre hat die promovierte Religionshistorikerin, die u. a. bei Heiko Oberman Kurse belegte (sie befindet seine Biografie «Luther: Ein Mensch zwischen Gott und Teufel» als unübertroffen), in das Quellenstudium investiert. Nicht nur las sie sich durch die lokalen Archive, sondern auch durch die zahlreichen Briefe Luthers. Sergej hat sie kürzlich interviewt. Nicht zuletzt empfehle ich Truemans Buch «Luther on the Christian Life».