Der grosse russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn berichtet in seinen Exil-Memoiren «Meine amerikanischen Jahre», wie er und seine Frau die drei Söhne bildeten. Mal im Ernst: Welcher Lehrer kann und will einen vergleichbaren Effort leisten?
… Alja beeilte sich, sie möglichst tief in die Fluten der russischen Sprache einzutauchen, ehe sie in die amerikanische Umgebung hinausgehen sollten. Sie las ihnen jeden Tag vor, und früh entbrannte auch bei ihnen die Leidenschaft, selbstständig zu lesen und Gedichte auswendig zu lernen (Alja hatte ihre große Bibliothek fast vollständig aus Moskau herausbringen können).
Jermolaj und Ignat unterrichtete ich in Algebra und Geometrie, später auch Stepan, nachdem er seine träumerische Zerstreutheit überwunden hatte, die uns anfangs etwas beunruhigte, jedoch ein Vorbote seines Einfühlungsvermögens war. Als die Kinder zwischen sieben und zehn Jahre alt waren, begann ich mit Physik und Astronomie. Ende August, wenn sich das Sternenzelt recht früh zeigte, führte ich sie auf die einzige offene Wiese, die wir hatten, um ihnen die Gestirne zu zeigen. Am nächsten Tag erklärte ich mathematische Elemente an der Tafel. Von der Astronomie waren die Kinder sehr fasziniert…
Das Familien-ergänzende Angebot ist eine Selbstverständlichkeit:
… Unser Priester, Vater Andrej, der, zwanzig Meilen von uns entfernt, in der englischsprachigen orthodoxen Kirche einer Gemeinde alteingesessener Emigranten diente, erteilte unseren Kindern einmal die Woche Religionsunterricht, dann auch den allgemeinen Geschichtsunterricht. Unsere Jungen wirkten beim Gottesdienst als Ministranten mit, Jermolaj las bereits aus liturgischen Büchern vor. Ihr erster Englischlehrer war ein Amerikaner italienischer Herkunft, Leonard DiLisio, ein sympathischer, bescheidener und edelmütiger Mensch. (Er konnte gut Russisch und arbeitete nach Irina llowajskajas Abreise nach Paris 1979 bei mir auch als Sekretär, zweimal pro Woche.)
Und die Anschlussfähigkeit war kein Thema – eher umgekehrt: Der grosse Vorsprung.
Mit dem so gestalteten Unterricht schafften wir es rechtzeitig, unsere Söhne auf die Schule vorzubereiten, denn nur selten konnte man hier in einem Fach von einem angemessenen Wissensniveau ausgehen. Allerdings wurden sie von ihrer Umgebung auf die Probe gestellt, was ja überall eine Herausforderung ist. Zunächst waren sie an einer Privatschule, die viele Fertigkeiten und ausgefallene Kenntnisse vermittelte, jedoch keine Hausaufgaben und keine Noten vergab, um die Schwächeren nicht zu traumatisieren, den mennonitisch-sozialistischen Ansichten ihres Direktors entsprechend. Dann kamen sie an eine allgemeine Volksschule (ebenfalls meistens ohne Hausaufgaben), dann an eine Mittelschule, die schon weiter entfernt lag.
Dann schildert Solschenziyn noch die ach so wichtigen (wirklich?) Sozialisierungsübungen der Peer. Mir will jedoch nicht einleuchten, dass sie privat unterrichteten Kindern besonders häufig widerfahren sollten. Das ist doch vom Charakter abhängig. Ein stabiles Elternhaus stabilisiert.
Ein Schulbus sammelte morgens die Kinder »von den Hügeln« ein und brachte sie nach dem Unterricht nach Hause. Jermolaj war zwei Jahre Jünger als der Rest der Mitschüler und scheute keine Mühe, ihnen zu beweisen, er gehöre auch dazu; dafür nahm er Stunden in Karate. Doch der gutmütige Stepan war, wie sich herausstellen sollte, gänzlich schutzlos gegen die brutalen Sitten an dieser Schule, er war nicht fähig, wüste Beschimpfungen mit gleicher Münze zurückzuzahlen, seine Haltung schürte die Angriffslust nur an. Dass er Ausländer war, kam noch hinzu. In den Pausen ließen sie ihn nicht an gemeinsamen Spielen teilnehmen, nannten Ihn »Russian Negro«, verlangten von ihm, Gras zu essen, stopften ihm sogar Gras in den Mund. … Als sich auf dem amerikanischen Stützpunkt in Beirut eine Explosion ereignet hatte, bei der zweihundert Marines starben, fingen sie an, gegen Stepan als einen ‘russischen Spion’ zu hetzen. Im Schulbus drehten sie ihm die Hände auf den Rücken, schlugen ihn und nannten ihn dabei ‘Kommunist! Spion!’ (Vom Logistischen her sind diese Schulbusse herovrragend, doch für etwa eine Stunde entreissen sie die Kinder jeglicher Aufsicht, der Fahrer ist nicht imstande, alle im Auge zu behalten, und die gröbsten und widerlichsten Sachen passieren gerade hier.)