Neujahr (7): Dem höchsten Gut nachstreben

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Die Neuauflage von Herman Bavincks “The Wonderful Works of God“, einer einbändigen Fassung seiner Dogmatik, ist eine Bereicherung für den englischsprachigen christlichen Buchmarkt. Bavinck überschreibt das erste Kapitel treffend mit “Das höchste Gut des Menschen”. Das Reformed Forum präsentiert eine stündige Präsentation zum Buch. Brian Mattson, der zu Bavinck promoviert hat, nennt sie die beste einbändige Dogmatik. Es ist überhaupt eine Blütezeit englischer Neuauflagen von und über Bavinck. Bei Nimm & lies habe ich die ersten Abschnitte übersetzt gefunden und einige angehängt.

Es bleibt mein Ziel das Ewige nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern in all meinem Tun und Streben einzubeziehen.

Gott und Gott allein ist das höchste Gut des Menschen.

In einem allgemeinen Sinne können wir sagen, dass Gott das höchste Gut all seiner Kreaturen ist. Denn Gott ist der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, die Quelle allen Seins und jeglichen Lebens und die überfließende Quelle alles Guten. Jede Kreatur schuldet jeden einzelnen Augenblick seine ganze Existenz einzig Ihm, der das eine, ewige und allgegenwärtige Wesen ist.

Doch das Konzept des höchsten Guts schließt üblicherweise auch den Gedanken mit ein, dass dieses Gut von den Kreaturen selbst erkannt und genossen wird. Und das kann natürlich nicht der Fall für die leblose oder nicht-rationale Schöpfung sein. Die leblose Schöpfung existiert bloß und besitzt überhaupt kein Lebensprinzip. Die anderen Geschöpfe sowie die Pflanzen besitzen zwar ein Lebensprinzip, haben aber keinerlei Empfinden. Die Tiere besitzen zwar zusätzlich zu ihrer Existenz und ihrem Leben eine Art des Bewusstseins, doch es ist ein Bewusstsein, dass die Dinge um sich durch Sinnesreize wahrnimmt. Sie sind sich der irdischen, aber nicht der himmlischen Dinge bewusst. Sie sind sich der tatsächlichen, der freudigen, der nützlichen Dinge bewusst. Doch sie besitzen kein Bewusstsein für die Wahrheit, das Gute und das Schöne. Sie besitzen ein sinnliches Empfinden und sinnliche Wünsche, doch entsprechend sind sie auch durch Sinneswahrnehmung gesättigt und können nicht zu den geistlichen Dingen durchdringen.

Beim Menschen ist das völlig anders. Er ist eine Kreatur, die von Anfang an im Bilde Gottes geschaffen wurde und diesen göttlichen Ursprung kann er weder auslöschen noch zerstören. Auch wenn er durch die Sünde die herrlichen Eigenschaften der Erkenntnis, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit verloren hat, die im Bilde Gottes liegen, sind sie doch in ihm in „kleinen Überresten“ als Schenkungen der Schöpfung vorhanden. Diese reichen nicht nur aus, um das Bewusstsein der Schuld aufrechtzuerhalten. Sie bezeugen auch seine ursprüngliche Größe und erinnern ihn beständig an seine göttliche Berufung und sein himmlisches Schicksal.

In all seinem Denken und in all seiner Arbeit, im ganzen Leben und Wirken des Menschen zeigt sich, dass er ein Geschöpf ist, das sich nicht mit dem zufrieden geben kann, was die ganze stoffliche Welt zu bieten hat. Er ist zwar ein Bürger einer physischen Ordnung, aber er erhebt sich auch über diese Ordnung hinaus zu einer übernatürlichen. Mit den Füßen fest auf dem Boden stehend, hebt er den Kopf in die Höhe und richtet den Blick senkrecht nacht oben. Er hat Kenntnis von den Dingen, die sichtbar und zeitlich sind, aber er ist sich auch der Dinge bewusst, die unsichtbar und ewig sind. Sein Verlangen gilt dem Irdischen, Sinnlichen und Vergänglichen, aber auch dem Himmlischen, Geistigen und Ewigen. 

Der Mensch teilt seine sinnliche Wahrnehmung und sein sinnliches Bewusstsein mit den Tieren. Aber über diese Eigenschaften hinaus wurde er mit einem Verstand und einer Vernunft ausgestattet, die ihn befähigen, zu denken und sich aus der Welt der Sinneseindrücke in eine Welt der immateriellen Gedanken und in das Reich der ewigen Ideen zu erheben. Das Denken und Wissen des Menschen ist zwar an sein Gehirn gebunden, aber in seinem Kern doch ganz und gar eine geistige Tätigkeit, die weit über das hinausgeht, was er mit dem Auge sieht und mit der Hand anfasst. Durch solches Denken stellt er seine Verbindung mit einer Welt her, die er nicht sehen und anfassen kann, die aber ebenso wirklich ist und die mehr an wesentlicher Wirklichkeit besitzt als die Stofflichkeit der Erde. Was er wirklich sucht, ist nicht eine greifbare Wirklichkeit, sondern eine geistige Wahrheit, eine Wahrheit, die eins, ewig und unvergänglich ist. Sein Verstand kann nur in einer solchen absoluten göttlichen Wahrheit Ruhe finden. 

Genauso teilt auch der Mensch sein sinnliches Verlangen mit dem Tier. Dementsprechend empfindet er das Bedürfnis nach Essen und Trinken, nach Licht und Luft, nach Arbeit und Ruhe, und er ist für seine körperliche Existenz von der ganzen Erde abhängig. Aber über diese Ebene des Begehrens hinaus hat er einen Willen erhalten, der, geleitet von seiner Vernunft und seinem Gewissen, nach anderen und höheren Gütern greift. Das Angenehme und Nützliche, obwohl es an seinem Ort und zu seiner Zeit seinen Wert hat, befriedigt ihn nicht; er verlangt und sucht ein Gut, das nicht durch die Umstände gut wird, sondern das an und durch und für sich gut ist, ein unveränderliches, geistiges, ewiges Gut. Und sein Wille wiederum kann nur in einer solchen höchsten, absoluten, göttlichen Güte seine Ruhe finden. 

Diese beiden, Vernunft und Wille, haben nach der Darstellung der Heiligen Schrift ihre Wurzeln im Herzen des Menschen. Von diesem Herzen sagt der Verfasser der Sprüche, dass es mit allem Fleiß bewahrt werden muss, denn aus ihm kommen die Dinge des Lebens hervor (4,23). So wie das Herz im physischen Sinne der Ausgangspunkt und die treibende Kraft des Blutkreislaufs ist, so ist es auch geistig und ethisch die Quelle des höheren Lebens im Menschen, der Sitz unseres Selbstbewusstseins, unserer Beziehung zu Gott, unserer Unterwerfung unter sein Gesetz, kurz, unserer ganzen geistigen und moralischen Natur. Daher hat unser gesamtes Vernunft- und Willensleben seinen Ausgangspunkt im Herzen und wird von ihm geleitet. 

Nun lernen wir aus Prediger 3,11, dass Gott die Welt in das Herz des Menschen gelegt hat. Gott macht alles schön zu seiner Zeit, er lässt alles zur rechten Zeit geschehen, zu dem Zeitpunkt, den er dafür bestimmt hat, so dass die Geschichte in ihrer Gesamtheit und in ihren Teilen dem Ratschluss Gottes entspricht und die Herrlichkeit dieses Ratschlusses zeigt. Und Gott hat den Menschen in die Mitte dieses Weltganzen gestellt und ihm die Zeiten ins Herz gelegt, damit er sich nicht in den äußeren, sichtbaren Erscheinungen ausruhe, sondern die ewigen Gedanken Gottes im zeitlichen Lauf der Natur und der Geschichte suche und erkenne. 

Dieses desiderium aeternitatis, diese Sehnsucht nach einer ewigen Ordnung, die Gott in das Herz des Menschen, in das Innerste seines Wesens, in den Kern seiner Persönlichkeit eingepflanzt hat, ist die Ursache der unbestreitbaren Tatsache, daß alles, was zur zeitlichen Ordnung gehört, den Menschen nicht befriedigen kann. Er ist ein sinnliches, irdisches, begrenztes und sterbliches Wesen, und doch wird er vom Ewigen angezogen und ist dazu bestimmt. Es nützt dem Menschen nichts, wenn er Frau und Kinder, Häuser und Äcker, Schätze und Güter oder gar die ganze Welt gewinnt, wenn er dabei seine Seele verliert (Mt 16,26). Denn die ganze Welt kann die Waage für den Wert eines Menschen nicht ausgleichen. Keiner ist so reich, dass er auf irgendeine Weise die Seele seines Bruders erlösen oder Gott ein Lösegeld für ihn geben könnte; die Erlösung der Seele ist zu kostbar, als dass irgendein Geschöpf sie erreichen könnte (Ps. 49,7-9).