Mit unserem agnostischen Gast – der sich in bisherigen Besuchen als Atheist ausgegeben hatte – habe ich wesentliche Fragen aus meiner Vorlesung über die theologische Anthropologie der letzen Tage rekapituliert. Dies waren die Themen in der Reihenfolge:
- Denkvoraussetzungen: Religiöses ist tabu. (Wer definiert das Tabu? Weshalb ist es ein Tabu? Ist das nicht selbst eine religiöse bzw. dogmatische Aussage?)
- Schöpfungslehre: Wir können nicht sagen, wie das Universum entstanden ist. (Wie lautet deine Ursprungshypothese? Wie stützt du sie ab? Weshalb schenkst du ihr am meisten Glauben?)
- Lehre über den Menschen: Wir können nicht sagen, weshalb wir Bewusstsein haben. (Weshalb können wir Idee entwickeln? Weshalb können wir über Vergangenheit und Zukunft Bewertungen vornehmen und planen?)
- Menschen und Tiere: Ich weiss nicht, welchen Wert ich im Vergleich zu meiner Katze habe; zumindest habe ich den Oberbefehl. (Was macht uns als Menschen einzigartig? Was entscheidet über die Rangordnung/Hierarchie?)
Das Gespräch ging nochmals über eine Stunde weiter auf dem Spaziergang.
Ich will die letzten Fragen nicht fertig denken, sonst werde ich deprimiert
(Ich) Es fällt mir auf, dass du zu den letzten Fragen klare Antworten hast.
(Er) Nein, ich will die letzten Fragen nicht fertig denken (!!!)
(Ich) Angesichts deiner ablaufenden Lebenszeit kommst du trotzdem nicht um die gelebte Antwort herum.
(Er) Nein, wenn ich sie fertig denken würde, wäre ich am Schluss nur noch ein Häuflein Elend und so schlecht dran wie viele Philosophen.
(Ich) Du sprichst gerade mit einem Häuflein Elend. Ich bin als Mensch grundsätzlich im Elend. Wortgeschichtlich bedeutet das “im Ausland”. Ich bin dem, der mich gemacht hat, den anderen und mir selbst entfremdet.
(Er) Mir geht es gut.
(Ich) Wie definierst du ein gutes Leben?
(Er; zusammengefasst) Psychisches und physisches Wohlbefinden. Dieses wird von jedem selbst definiert.
Aus dem Leben scheiden als letzte Entscheidung
(Ich) Und was passiert, wenn diese von dir aufgeführten Kriterien nicht mehr erfüllt sind?
(Er nimmt seine Patientenverfügung und den Exit-Ausweis aus der Geldbörse) Dann habe ich dieses hier.
(Ich) Du bist ein stark gläubiger Mensch.
(Er) Wie meinst du das?
(Ich) Aufgrund einer Vermutung – das Leben ist mit deinem Tod zu Ende – triffst du deine letzte Lebensentscheidung, die du vielleicht gar nicht mehr zu treffen imstande sein wirst.
(Er) Das stimmt, es ist ja nur eine Option.
(Ich) Auch wenn du sie nicht ausübst, lebst du so, als ob es mit dem Tod aus ist. Woher nimmst du diesen starken Glauben?
(Er) Ich sehe ja, dass alles dieser Vergänglichkeit unterworfen ist.
(Ich) Du bist ein begeisterter Programmierer. Weshalb programmierst du tagelang, auch wenn du weisst, dass in einigen Jahren dein Leben mutmasslich zu Ende ist? Willst du anderen etwas hinterlassen?
(Er) Nein, damit halte ich mich geistig fit. Es ist befriedigend, zumindest im Kleinen eine Lösung zu finden.
(Ich) Du würdest mir aber zustimmen, dass du dein Lebensprogramm nicht selbst geschrieben hast.
(Er) Nein, natürlich nicht.
(Ich) Aber du triffst trotzdem letzte Entscheidungen im Glauben, dass du genügend über dieses Programm weisst.
Informationen von aussen
(Er) Die letzten Fragen können wir Menschen nicht beantworten.
(Ich) Es sei denn, dass uns der Erfinder Informationen von der anderen Seite zukommen liesse. Du weisst, dass ich dieser Möglichkeit Glauben schenke.
(Er) Jetzt weiss ich, worauf du hinaus willst.
(Ich) Und ich merke, dass auch du zu wissen scheinst, worauf dein Leben hinausläuft. Allerdings weisst du absolut nicht, ob das dann aufgeht.
(Er bringt mir im Verlauf des Gesprächs mindestens ein Dutzend Beispiele über die Wunder des Universums.)
(Ich) Nehmen wir an, der Designer hätte dir alle diese Beispiele gegeben, damit du erkennst, dass ein persönlicher, deine Horizonte weit übersteigender Designer dich konzipiert hat. Jede Pflanze, die nun im Frühling neu ausschiesst, ist um ein Vielfaches komplexer als dein unfertiges Computerprogramm.
(Er) Darauf kann ich nun wirklich nichts mehr sagen.
(ich) Was bereitet dir solche Mühe zu glauben, dass dieser Designer auch in der Lage ist, die wichtigen Informationen durch ein Buch zukommen zu lassen?
(Er) Es gibt auch den Benedikt, der seine Religion als die einzig wahre bezeichnet. Es gibt ja noch die Juden, die Buddhisten usw.
(Ich) Und dieser Benedikt lässt in seinem Katechismus verlauten, dass alle Menschen in Jesus einmal gerettet werden würden. Damit steht er im Widerspruch zum Buch, das der Designer uns hinterlassen hat.
Doch ein Mitläufer
(Er wechselt schnell das Thema.) Ich bin eben kein Mitläufer wie mein katholischer Nachbar. Ich nehme mein Leben selbst in die Hand.
(Ich) Du bist sehr wohl ein Mitläufer. Du gibst mir die Antworten, die mir 999 von 1000 Sonntagsspaziergänger hier im Westen geben würden.
(Er) Wie meinst du das?
(Ich) Ich weiss nicht, ob es einen Schöpfer gibt; ich weiss nicht, ob meine Katze mehr wert ist als ich; ich weiss, dass mit dem Tod alles Bewusstsein zu Ende ist. Wer hat dich diese Antworten gelehrt?
(Er) Das habe ich mir selbst überlegt.
(Ich) Ich gebe dir eine andere These. Du hast jahrzehntelang Fernsehen geschaut. Das war deine geistige Nahrung. Damit gibst du jetzt am Ende deines Lebens die Antwort, die fast alle Menschen des 21. Jahrhunderts im Westen geben.
(Er) Du meinst, ich bin Opfer einer Manipulation.
(Ich, lache) Ich denke schon, dass du mehr durch dieses Medium beeinflusst worden bist als du denkst. Jedes Mal, wenn du bei uns zu Besuch bist, referenzierst du auf bestimmte Sendungen. Was ganz früher die Unterweisung des Pfarrers war, besorgt heute das bewegte Bild.
(Meine Frau) Lieber Besuch, warum wirst du nicht zornig, wenn mein Mann dir solche Fragen stellt?
(Er) Es sind im Prinzip genau die Fragen, die ich mir im Leben auch schon gestellt habe. Und ich habe starke Nerven.