Auch Jahre nach dem Kleinkindalter meiner Kinder bin ich immer noch aufmerksamer Kinderbuchleser. Hier ist eine Stelle aus “Ostern im Möwenweg” von der Bestsellerautorin Kirsten Boie:
(Die Mutter teilt den älteren Geschwistern eine Arbeit zu.)
In der Küche hat Mama gerade einen Hefeteig aus der Schüssel genommen. Da hatte sie ihn gehen lassen … Mama hat den Teig auf der bemehlten Arbeitsplatte in drei gleich große Stücke geteilt und jedes Stück zu einem dicken Seil gerollt.
(Der Jüngste will auch einen Teig haben.)
»Ich will das auch!«, hat er gesagt und die Stirn kraus gezogen. »Ich kann das ja!« »Ja, hast du denn überhaupt schon mal einen Zopf geflochten, Maus?«, hat Mama gefragt. »Sei ehrlich! Guck mich mal an!« Da ist Maus ganz böse geworden. Weil er ja logisch überhaupt gar nicht flechten kann.
(Er wird zornig, weil er sich zurückgesetzt fühlt.)
»Warum darf nur immer ich nichts?«, hat er geschrien. »Warum darf das immer die blöde Pupe-Tara?« Mama hat gesagt, langsam hat sie die Nase voll von seinen Wörtern, und da ist Maus noch wütender geworden und hat geschrien, so blöde pupe-flechten will er ja sowieso gar nicht, weil Pupe-Zöpfe was für Pupe-Mädchen sind. … »Pupe-Zöpfe! Pupe-Zöpfe!«
(Sein Zorn richtet als Provokation sich zuerst gegen die älteren Geschwister.)
Mama hat ihn bei den Schultern gepackt und gesagt, dass Maus jetzt besser mal in sein Zimmer geht und sich besinnt. Wenn er wieder ein lieber Junge ist, kann er gern wieder zu uns runterkommen.
(Die Mutter sanktioniert den Zornausbruch mit Trennung von der Gemeinschaft.)
„Du doofer Pisspott!«, hat Maus geschrien und sich losgerissen.„Pisspott-Pupe-Mamal« Dann ist er ganz laut die Treppe hochgestapft in sein Zimmer. Da hat er die Tür hinter sich zugeknallt, aber dann hat er sie noch mal aufgerissen. »Pisspott!«, hat er gebrüllt und die Tür noch mal zugeknallt. »Pupe-Mamal«
(Jetzt richtet sich der Zorn gegen die Mutter; er verwendet einen Fluch.)
Maus kann leider manchmal sehr wütig sein. Mama hat geseufzt. »Na, da ist aber einer sauer!«, hat sie gesagt. »Das kann noch ein bisschen dauern, bis der sich wieder beruhigt hat. Es ist aber auch bestimmt nicht schön, wenn man immer der Kleinste ist und noch nichts mitmachen kann, Tara.«
(Das ist eine Schlüsselstelle. Wie deutet die Mutter den Konflikt? Wo sieht sie den Anlass?)
Als es angefangen hat, in der Küche richtig schön nach Hefebrot zu riechen, ist Maus die Treppe wieder runtergekommen. Aber er hat immer noch ein ganz böses Gesicht gemacht. »Oh, da ist ja mein kleiner Großer!«, hat Mama gesagt. »Na, alles wieder in Ordnung?« Maus hat sie böse angeguckt, aber gesagt hat er nichts. »Und hast du dir überlegt, dass du nicht mehr solche Wörter sagen willst?«, hat Mama wieder gefragt. Da hat Maus seine Lippen ganz fest zusammengekniffen. »Tatsächlich, wenn der Mund so doll zu ist, dann können da ja gar keine frechen Wörter mehr rauskommen!«, hat Mama gesagt. »Da bin ich aber froh, Maus!«
(Die Auflösung des Konflikts ist in Wirklichkeit keine.)
»Das war janur mein Mund, der so ungezogen war!«, hat Maus gesagt. »Der hat das gesagt! Der sagt immer so Wörter!« »Ich weiß doch, Maus!«, hat Mama gesagt und ihn in den Arm genommen. »Aber das hast du deinem frechen Mund jetzt verboten, oder?« Maus hat genickt. »Aber vielleicht macht der das vielleicht doch noch mal«, hat er gesagt. »Manchmal.«
(Die Ausrede: Es ist mein Mund und nicht ich.)
Wie würde die gleiche Szene, betrachtet aus christlicher Weltsicht, von Elternseite gestaltet werden?