Der Kirchenvater Augustinus (365-430) entgegnete in seinem monumentalen Spätwerk “Vom Gottesstaat” dem Vorwurf, dass es dem Römischen Reich so erging, weil es die Götter verlassen hatte. Die dahinter stehende Frage leidvoller Zeiten, die Gute wie Böse trifft, ist so aktuell wie je zuvor:
Man könnte fragen: „Warum hat sich nun aber diese göttliche Erbarmnis auch auf Gottlose und Undankbare erstreckt?“ Doch wohl nur deshalb, weil sie der hat walten lassen, der täglich „seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“ (Zitat aus Matthäus 5,45). Obgleich sich nämlich nur einige von ihnen, nachdenklich geworden, reuevoll von der Gottlosigkeit bekehren, während andere, wie der Apostel sagt, „den Reichtum der Güte und Langmut Gottes verachten und durch ihre Verstocktheit und ihr unbußfertiges Herz sich Zorn häufen für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der jedem vergelten wird nach seinen Werken“ (Zitat aus Römer 2,5f), so ist doch die Geduld Gottes den Bösen gegenüber eine Einladung zur Buße, wie die Geißel Gottes den Guten gegenüber eine Anleitung zur Geduld; und anderseits bedeutet für die Guten die Erbarmnis Gottes ebenso liebende Fürsorge, wie die Strenge Gottes für die Bösen den Zweck und Charakter der Strafe hat. Denn es hat der göttlichen Vorsehung gefallen, erst für die Zukunft den Gerechten Güter zu bereiten, deren sich die Ungerechten nicht erfreuen werden, den Gottlosen aber Übel, von welchen die Guten nicht werden geplagt werden; dagegen sollten die zeitlichen Güter und Übel den einen wie den andern zuteil werden, damit man nicht allzu begehrlich nach diesen Gütern strebe, wenn man nicht sieht, daß auch Böse sie besitzen, noch auch feige diesen Übeln aus dem Wege gehe, da doch zumeist auch Gute von solchen betroffen werden.
… Der Gute läßt sich so wenig durch zeitliche Güter zum Übermut verleiten als durch zeitliche Übel niederbeugen; der Böse dagegen wird deshalb durch derartiges Unglück gestraft, weil er durch Glück verdorben wird. Doch zeigt Gott oft auch bei Verteilung von Gütern und Übeln sein Eingreifen ziemlich deutlich. Denn wenn jede Sünde offensichtliche Strafe träfe hienieden, so würde man meinen, es würde nichts für das jüngste Gericht aufgespart; wenn sich aber hinwiederum gar keiner Sünde gegenüber die Gottheit strafend offenbarte hienieden, so würde man glauben, es gebe keine göttliche Vorsehung. Und ähnlich das Glück: Schenkte es Gott nicht manchem auf seine Bitten mit augenscheinlichster Freigebigkeit, so würden wir sagen, er habe damit nichts zu schaffen; gäbe er es anderseits allen, die ihn darum bitten, so würden wir zu der Meinung kommen, man brauche ihm nur um solcher Belohnungen willen zu dienen, ein Dienst, der uns nicht fromm, sondern vielmehr begehrlich und habsüchtig machen würde.
Buch I, Kapitel 8 (VD: FW)