In dritten Buch seiner Institutio (III,10) beschäftigte sich Johannes Calvin mit der Frage, “wie wir das gegenwärtige Leben und seine Mittel gebrauchen sollen”.
Es handelt sich dabei um eine Frage, die wir bei der Gestaltung unseres Lebens durchaus nicht beiseitelassen dürfen. Denn wenn wir leben sollen, so müssen wir auch die zum Leben erforderlichen Mittel benutzen. Wir können auch dem nicht aus dem Wege gehen, was mehr dem Genuß als der Notdurft zu dienen scheint. Wir müssen also Maß halten, um jene Mittel mit reinem Gewissen zur Notdurft oder auch zum Genuß zu verwenden. (III,10,1)
Es gibt zwei Extreme: Entweder in “Maßlosigkeit und Ausschweifung immerzu in zügelloser Gier über jedes Maß hinaus(zu)gehen”; auf der anderen Seite lauert die Askese. “Unter „Notdurft“ verstehen sie nun weiter, der Mensch solle sich alles dessen enthalten, was er entbehren kann; nach ihrer Meinung kann man also außer Brot und Wasser kaum etwas genießen.” (III,10,1) Es geht darum im Auge zu behalten, weshalb der Schöpfer die Dinge geschaffen hat. “Der Hauptgrundsatz soll dabei folgender sein: der Gebrauch der Gaben Gottes geht nicht vom rechten Wege ab, wenn er sich auf den Zweck ausrichtet, zu dem uns der Geber selbst diese Gaben erschaffen und bestimmt hat.” (III,10,2)
Calvin verwahrt sich also gegen falsche Genussfeindlichkeit. “Kräuter, Bäume und Früchte sollen uns nicht nur mancherlei Nutzen bringen, sondern sie sollen auch freundlich anzusehen sein und seinen Wohlgeruch haben. Wäre das nicht wahr, so könnte es der Prophet nicht zu den Wohltaten Gottes rechnen, daß ‘der Wein des Menschen Herz erfreut’ und daß ‘seine Gestalt schön werde vom Öl’ (Ps. 104,15).” (III,10,2)
Dies geschieht unter Wahrung des Hauptziels. Dieses Leben ist das vorläufige, nicht das letztgültige. Deshalb ist “überhaupt jede Sorge und Sucht, die uns vom Denken an das himmlische Leben und vom Eifer um die Durchbildung unserer Seele abführt oder uns darin hemmt!” zu beseitigen. (III,10,4) Und: “(W)enn einer in engen und kargen Verhältnissen lebt, so soll er geduldig zu entbehren wissen, um sich nicht in maßloser Begierde nach dem, was ihm fehlt, zu beunruhigen.” (III,10,5)
Alles, was uns gegeben ist, trägt den Charakter der Leihgabe. “All diese irdischen Dinge sind uns dergestalt aus Gottes Freundlichkeit geschenkt und in Nutzung gegeben, daß sie gewissermaßen anvertrautes Gut darstellen, über welches wir einst Rechenschaft ablegen müssen. ” (III,10,5)
Interessant ist der letzte Abschnitt: Gott hat mit dem Beruf (lat. voactio; das Wort trägt dieselbe Bedeutung wie “Berufung”) als Lebensgestalt gegeben. “Er hat also, damit nicht durch unsere Torheit und Vermessenheit alle Dinge im Himmel und auf Erden durcheinandergeworfen würden, die verschiedenen Lebensgestalten (vitae genera) eingesetzt und jeder ihre besonderen Pflichten zugeordnet. Und damit keiner unbedacht seine Grenzen überschreite, hat er diese Lebensgestalten Berufe genannt. Für jeden einzelnen von uns ist also unsere Lebensgestalt gewissermaßen ein Wachtposten, den uns der Herr zugewiesen hat, damit wir nicht unser Leben lang umgetrieben werden.” (III,10,6) Diese Lebensgestalt ist je nach Beruf unterschiedlich.
Wer ein unbeamteter Mann ist, der wird sein ohne öffentliche Aufgaben dahingehendes („privates“) Leben ohne Verdrießlichkeit führen, damit er nicht den Platz verläßt, an den ihn Gott gestellt hat. (III,10,6)
Könnte es sein, dass unsere Unzufriedenheit davon rührt, dass wir die uns zugewiesene Lebensgestalt verlassen? Unsere Zeit ruft uns zu, dass wir etwas Ausserordentliches erreichen müssten – wenn wir denn nur wollten.