Die überaus interessante Lektüre “Bundesratswahlen: Vom Unruheherd zur stabilen Republik” birgt z. B. diese Notiz (S. 60f):
Bundeskanzler Schiess war ein Glücksfall für die junge Schweiz. Er wirkte in dieser höchst zentralen Verwaltungsfunktion während 33 Jahren bis 1881. (Er war) ein gestrenger und pedantischer Kanzleichef, der bereits um 5 Uhr morgens im Büro erschien und dort bis tief in die Nacht arbeitete. Wer zu spät zum Amt erschien, habe vom Chef einen tüchtigen Klaps erhalten. Im NZZ-Nekrolog (Würdigung nach seinem Tod, meine Anm.) lesen wir: ‘Seine Untergebenen standen unter väterlicher Aufsicht. Schiess war nämlich eine wohlmeinende Seele, welche unpünktliche oder selbst verlotterte Naturen, die seiner Obhut anvertraut waren, auf bessere Wege zurückzuleiten strebte. Und an solchen Elementen war vordem kein Mangel.’ Der Zeitgenosse Walter Seen drückt sich in seiner Schweizerischen Ehrenhalle so aus: ‘Leider … reichten in jenem Anfangsstadium seine Vorschriften und wohlgeleinten Ermahnungen nicht immer aus. … In solchen Fällen riss sein Geduldsfaden, und er fuhr mit drastischen Mitteln drein. Man muss nämlich wissen, dass er, die personifizierte Pünktlichkeit und das Urbild des Pflichtgefühls, sehr energischer Natur war, die jedoch nur zum Vorschein kam, wenn er bei seinen Untergebenen Gleichgültigkeit, Trägheit, Unordentlichkeit und dergleichen Untugenden entdeckte.’ Um festzustellen, ob seine Mitarbeitenden sich in den Früh- oder Vieruhrschoppen verzogen hatten, zählte er die Hüte und Mützen an der Garderobe. Fehlte eine, wusste er, ‘dass sich eine durstige Seele aus den Räumen des Bundesrathshauses entfernt hatte’. Allerdings standen ihm seine Leute in nichts nach und besorgten sich in weiser Voraussicht einen Ersatzhut in der Kriegsmaterialverwaltung, den sie nach gehabtem Schoppen leise wieder an Ort und Stelle ablegten.
… Für die Bundesräte war er mit seinem ausgezeichneten Gedächtnis ein allgegenwärtiges Repertorium der Bundesgesetze und Bundesgeschäfte.