Input: Evangelium gegen antiautoritäres Dogma und Kulturrelativismus

Wer wie ich die Evangelien seit Kindsbeinen an gelesen hat, neigt beim erneuten Studium zu drei ungesunden Tendenzen:

  • Der Text wird im Rahmen der bisherigen Lektüre (zu oberflächlich) gelesen. Bekannte Worte haben so ihren Bedeutungsgehalt verloren.
  • Es entwickelt sich eine eigene Erfahrungswelt rund um die Evangelien, die vom historischen Kontext und der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit abgekoppelt ist.
  • Von unserer Kultur her sind wir so “konditioniert”, mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne von Anfang an die Frage nach dem “was bringt es mir?” zu stellen. Mit dieser Herangehensweise laufen wir Gefahr, uns den Zugang zum Text zu verstellen.

Für den Evangelisten Matthäus, der das “Tor” zum Neuen Testament öffnet und gleichzeitig vom ersten Satz an den unverzichtbaren und engen Bezug zum Alten herstellt, waren mir die Ausführungen von Douglas O’Donnell von stimulierender Wirkung.

O’Donnell spricht von einer melodischen Grundlinie des Buches und verknüpft sie mit dem prägnanten Matthäus-Schluss (Missionsauftrag). Es geht um den souveränen König Jesus, der über ein ewig währendes Königreich regiert. Dessen Segen erstreckt sich – wie Abraham angekündigt – über die ganze Erde. Demnach sind die abschliessenden Worte der Ode an die Freude von Beethovens 9. Symphonie zu vergleichen:

  1. Alle Macht
  2. Alle Völker
  3. Alles, was ich euch geboten habe

Diese drei Aussagen stehen in beachtlicher Reibung zur westlichen Doktrin des 21. Jahrhunderts: Jeder ist sein eigener Herrscher – es gibt keinen universellen Anspruch; es gilt das Gebote des kulturellen Relativismus. Das schlägt auch inhaltlich durch; es gibt keinen übergeordneten ethischen Standard mehr.

Ich empfehle von O’Donnell