Hanniel hirnt (298): “Konservativ” und der westliche Abwehrreflex

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In den letzten Monaten griff ich wiederholt zum Buch “Von der Idee, konservativ zu sein”. Der Titel stammt vom bedeutenden Philosophen Roger Scruton (1944-2020). Spannend ist nicht nur sein biografischer Faden, den ich in meinem Audiobeitrag (25 Minuten) aufgreife – er wuchs als Kind eines glühenden Sozialisten auf, “bekehrte” sich während den 68er-Unruhen zum “Konservativismus” und gründete in den 70ern vor dem Antritt Thatchers als MP eine konservative Bewegung mit.

Scruton geht davon aus, dass die konservative Geisteshaltung anerkanntes Merkmal jeder menschlichen Gesellschaft darstellt. Diese schütze Güter, die wir im Westen als selbstverständlich anschauen. Diese seien jedoch bedroht. Scruton sieht einen direkten Zusammenhang dieser kollektiven Güter zum christlichen Glauben. Er will im Werk jedoch hauptsächlich von Beobachtungen unabhängig von den religiösen Voraussetzungen vorgehen.

Der geistige Nachlassverwalter Scruton, der irische Philosoph Mark Dooley, geht übrigens davon aus, dass Scruton nicht – wie oft behauptet – Atheist, sondern Theist war (siehe dieser Aufsatz).

Vergessen Sie die Tatsache, dass er seine Memoiren Gentle Regrets (Sanfte Reue) von 2005 mit einem Kapitel mit dem Titel “Regaining my Religion” (Wiedererlangung meiner Religion) beendete, wo er zu Protokoll gibt, dass “durch das Nachdenken über meinen Glaubensverlust ich ihn stetig wiedererlangt habe”. Vergessen Sie, dass er bereits 1990 schrieb, dass wir im Holocaust und im Gulag den “Beweis für die Erbsünde und den Beweis dafür finden, dass der Mensch doch nicht zu seiner eigenen Erlösung hinreichend ist und gerade dann, wenn er sich von Gott zu befreien sucht, in höchstem Maße darin versagt, sich zu emanzipieren”. Selbst wenn wir nichts von alledem wissen, sollten wir dennoch fragen, warum ein angeblicher Atheist, wie Scruton es oft tat, öffentlich gegen “Mit-Atheisten” Partei ergreift. Warum, mit anderen Worten, würde Scruton – der “bekennende Atheist” – die Hohepriester des Atheismus Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Stephen Hawking offen kritisieren? Die Antwort ist einfach: Er war kein Atheist, sondern jemand, der sein Leben damit verbrachte, “die göttliche Form des Menschen” gegen die zersetzende Kritik des Reduktionismus, Szientismus und Naturalismus zu verteidigen. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass das Hauptthema seines Werkes in dieser einen Beobachtung zusammengefasst werden kann: “Die Hybris, die uns dazu verleitet, zu glauben, dass die Wissenschaft die Antwort auf all unsere Fragen hat, dass wir nichts als sterbende Tiere sind und dass der Sinn des Lebens lediglich Selbstbestätigung ist oder bestenfalls das Streben nach einem kollektiven, allumfassenden und allzu menschlichen Ziel – dieser rücksichtslose Aberglaube enthält bereits die Strafe für diejenigen, die ihm erliegen”.

Dooley hat eine Biografie mit dem Augenmerk auf Scrutons Hauptideen, einen Reader sowie einen Band mit Konversationen zur immensen Spannweite seines Schaffens herausgegeben.