Zitat der Woche: Die verstörenden Grundauffassungen der klassischen Antike

Passendes Buch:

Hier klicken

Tom Holland im frisch übersetzten “Herrschaft: Die Entstehung des Westens” (S. 27):

Je mehr Jahre ich mit dem Studium der klassischen Antike zubrachte, desto fremder fand ich sie. Die Werte des Leonidas, dessen Volk eine besonders mörderische Form von Eugenik praktizierte und seine jungen Männer darin ausbildete, nachts aufmüpfige Untermenschen umzubringen, hatten nichts mit meinen eigenen Vorstellungen zu tun; ebensowenig wie diejenigen Caesars, der eine Million Gallier umgebracht und eine weitere Million versklavt haben soll. Nicht nur solche extremen Auswüchse an Herzlosigkeit bereiteten mir Unbehagen, sondern das vollständige Fehlen eines Gespürs dafür, dass die Armen oder Schwachen auch nur den geringsten Eigenwert haben könnten. Warum fand ich das verstörend? Weil ich hinsichtlich meiner moralischen und ethischen Grundauffassungen nicht einmal ansatzweise ein Spartaner oder Römer war. Dass mein Gottesglaube im Laufe meiner Teenagerjahre verkümmert war, bedeutete nicht, dass ich aufgehört hatte, christlich zu sein. Über ein Jahrtausend lang war die Zivilisation, in die ich hineingeboren wurde, die Christenheit gewesen. Die Grundannahmen, mit denen ich aufgewachsen war … stammten nicht aus der klassischen Antike, noch weniger aus der “menschlichen Natur”, sondern ganz klar aus der christlichen Vergangenheit dieser Zivilisation. Der Einfluss des Christentums auf die Entwicklung des Westens war so tiefgreifend, dass er unsichtbar geworden war. Die Revolutionen, an die man sich erinnert, sind die unvollendeten; das Schicksal derer, die triumphieren, besteht darin, dass man sie als Selbstverständlichkeit ansieht.”

VD: AW