Kolumne: Zwischen emotionalen Mimosen und gefühlskalten Rechtgläubigen

Passendes Buch:

Hier klicken

Ich habe einen längeren Artikel über die Unruhen von John Pipers Gemeinde gelesen. In den letzten Wochen und Monaten gab es Kündigungen von vier Pastoren sowie die Verabschiedung einer Reihe von langjährigen Mitgliedern. Es geht mir weniger um das Pflücken von skandalösen Details als vielmehr darum, aus den Unruhen im Hinblick auf Diskussion in unseren eigenen Reihen zu lernen.

Ich bin davon überzeugt, dass sich in der Kontroverse der Zeitgeist zeigt. Es steht eine Generation auf, die auf der einen Seite bei jeder Kleinigkeit “Halt! Ich bin emotional verletzt” schreit und bedingungslose Empathie einfordert. Gleichzeitig fördert das Aufwachsen in zerbrochenen Familienverhältnissen eine emotionale “Einigelung”, was zu gefühlskalter Rechtsgläubigkeit führen kann. Beide Seiten widersprechen der Schönheit durch Christus wiederhergestellter Beziehungen – sichtbar beispielsweise in einer Küchentisch-Diskussionskultur.

Hier sind 10 Überlegungen:

  1. Es gibt in der Bethlehem Church nicht einfach DEN einfach zu nennenden Grund für die Spannungen. Es ist kein klassischer Skandal auszumachen.
  2. Dafür existieren einige heikle Themen, um die sich Debatten entwickelt haben, die zu ernsthaften Verwerfungen führten, z. B. die kritische Rassentheorie, Black Lives Matter, die Me-Too-Bewegung oder das Verständnis des Komplementarismus. Diese komplexen Themen werden ja auch in der Gesellschaft heiss diskutiert.
  3. “Im Kern geht es um die Frage, ob, wann und wie Christen diejenigen herausfordern können, die sagen, dass sie verletzt worden seien – und wie sie in solchen Situationen die Aufforderung zum Mitgefühl, zur Suche nach der Wahrheit und zur Buße für die Sünde unter einen Hut bringen.”
  4. “Vor allem seit der Präsidentschaft von Donald Trump haben sich die Gräben unter den amerikanischen Evangelikalen vertieft. Sie offenbaren Meinungsverschiedenheiten nicht in der Theologie an sich, sondern in der Frage, wie sie als Christen ihre größten Prioritäten und Ängste in der Gesellschaft sehen. Diese Entwicklung wurde durch die politische Polarisierung, die Rassenfrage und die Pandemiegefahr noch beschleunigt.”
  5. Es gibt von beiden Seiten Vorwürfe: Die einen werfen den Leitern vor, durch eine Vereinnahmung bestimmter Positionen indirekt in die Arme des theologischen Liberalismus getrieben zu werden. Die Gegenseite spricht von einer “neo-fundamentalistischen” Verschanzung.
  6. Die eine Seite befürchtet, dass Christen sich ” in ihrem Schmerz anderen anschließen, die verletzt sind. Solche Empfindlichkeiten, so fürchtet er, können die Beziehung der Christen zur Wahrheit bedrohen. Gott befiehlt uns, barmherzig zu sein. Er fordert uns auf, Mitgefühl zu zeigen, aber die Menschen verlangen Empathie, und sie betrachten es als eine Art Verrat, wenn man sich weigert, mit ihnen in ihrem Schmerz, in ihrem Kummer mitzugehen.”
  7. Die andere Seite wirft einzelnen Leitern Gefühlskälte, unkontrollierten Zorn und die Tendenz über andere zu herrschen und geistlichen Missbrauch zu üben, vor. Öffentlichen Einsprachen wird mit theologisch verbrämter Einschüchterung und verbalen Vorschlaghämmern begegnet. Es fehle die Zurückhaltung und die Korrekturbereitschaft.
  8. Die einen orten eine gelebte Kultur übermässiger Zugeständnisse: “In den letzten Jahren hat es mich sehr belastet, wie wir in unserer Kirche mit ethnischer Harmonie und verwandten Themen in unserer Kultur umgehen, einschließlich Parteipolitik, Kritischer Theorie, Kritischer Rassentheorie, Intersektionalität, Black Lives Matter. Ich habe das Gefühl, dass wir einer Welle nach der anderen begegnet sind und dass wir in dem gutgläubigen Bemühen, den Frieden zu bewahren und eine Form der Einheit aufrechtzuerhalten, nicht mit ausreichender Klarheit darüber gesprochen haben, was wahr und was falsch ist, und stattdessen versucht haben, linksgerichtete Leute zu besänftigen, die praktisch nicht zu besänftigen sind.”
  9. Umgekehrt ergeht der Vorwurf, dass manche zwar mit der Generalamnestie, um des Evangeliums willen zu lehren und zu wirken, doch gelebt eine unbiblische Kultur der Gefühlskälte und der Selbstrechtfertigung in die Gemeinde hinein holten.
  10. Es geht auch um die Erziehungs- und Ausbildungskultur. “Wir wollen den amerikanischen Verstand, oder zumindest den christlichen Verstand, entknoten. Wir wollen nicht, dass diese Art von Eskalation, Aufblähung und Zerbrechlichkeit im Spiel ist. Das ist Teil unseres gesamten pädagogischen Ansatzes.” Diese Aussage bezieht sich auf das 2018 erschienene Buch “The Coddling of the American Mind”.

Meine Frage: Wie gehen wir inskünftig mit den beiden Kulturen um, die letztlich so viel gemeinsam haben? Lassen wir über aktuellen Fragen eine Gesprächskultur gedeihen und diese beiden Gruppen einander entfremden?