Kant muss auf dem Hintergrund des Idealismus von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und des Empirismus von David Hume (1711-1776) studiert werden. Roger Scruton fasst hervorragend zusammen:
Wir könnten objektives Wissen über die Welt haben, das nicht vom Standpunkt eines Beobachters beeinflusst ist, während (Hume) behauptete (oder es zumindest für seine Zeitgenossen so aussah), dass wir gar kein objektives Wissen haben könnten. … Der Rationalismus leitet alle Ansprüche auf Wissen aus der Anwendung der Vernunft ab und behauptet, eine absolute Beschreibung der Welt zu liefern, die von der Erfahrung eines Beobachters unberührt bleibt. … Der Empirismus behauptet, dass Wissen allein durch Erfahrung entsteht; es gibt daher keine Möglichkeit, Wissen von der subjektiven Verfassung des Wissenden zu trennen (Kant: A Very Short Introduction, 19-21).
Das bedeutete für Leibniz letztlich, dass «die Wirklichkeit selbst allein der Vernunft zugänglich (ist), denn nur die Vernunft kann sich über die individuelle Sichtweise erheben. Die Vernunft muss also durch ‘angeborene’ Ideen funktionieren.» (24). Hume hingegen hielt fest: «Die Vernunft kann nicht ohne Ideen arbeiten, und Ideen werden nur durch die Sinne erworben. … Kein Glaube kann als wahr erkannt werden, wenn er sich nicht auf die sinnlichen “Eindrücke” bezieht.» (25)
Kant wollte im Prinzip eine Synthese schaffen. «Weder die Erfahrung noch die Vernunft sind allein in der Lage, Wissen zu vermitteln. Die erste liefert Inhalt ohne Form, die zweite Form ohne Inhalt. Nur in ihrer Synthese ist Wissen möglich. … Es ist unmöglich, die Welt so zu erkennen, wie sie an sich ist, unabhängig von jeder Perspektive.» (27) Ebenso hielt er fest: «Der Begriff ‘Erfahrung’ enthält bereits den objektiven Bezug, den Hume bestritt. Die Erfahrung enthält in sich selbst die Merkmale von Raum, Zeit und Kausalität.» (27)
Kant beschäftigte sich deshalb intensiv mit den Fragen um Kausalität und apriorisches Wissen (d. h. Wissen, das nicht auf Erfahrung beruht). Diese wurden mit der Frage der Objektivität kombiniert (vgl. 21). Dafür führte er u. a. folgende Begriffe ein:
Unter den wahren Sätzen gibt es solche, die unabhängig von der Erfahrung wahr sind und auch dann wahr bleiben, wenn sich die Erfahrung ändert: das sind die a priori-Wahrheiten. Andere verdanken ihre Wahrheit der Erfahrung und könnten falsch sein, wenn die Erfahrung anders gewesen wäre: das sind die a posteriori-Wahrheiten.
… Eine analytische Wahrheit ist eine wie “Alle Junggesellen sind unverheiratet”, deren Wahrheit durch die Bedeutung der Begriffe, mit denen sie ausgedrückt wird, garantiert und durch Analyse entdeckt wird. Eine synthetische Wahrheit ist eine, deren Wahrheit nicht so abgeleitet ist, sondern die, wie Kant es ausdrückt, etwas im Prädikat bekräftigt, das nicht bereits im Subjekt enthalten ist. (29)
… Schon für Kant war klar, dass der Empirismus die Möglichkeit einer Metaphysik verneint. … Und doch ist die Metaphysik notwendig, um die objektive Erkenntnis zu begründen. … Wie ist eine synthetische apriorische Erkenntnis möglich? Oder anders ausgedrückt: «Wie kann ich die Welt durch reine Reflexion, ohne Rückgriff auf Erfahrung, erkennen?» (29)
… Kants Kritik richtet sich u.a. gegen die Annahme, die ‘reine Vernunft’ könne der Erkenntnis einen Inhalt geben, ohne sich auf die Erfahrung zu beziehen. … (Andererseits) Die folgenden Sätze scheinen a priori wahr zu sein: ‘Jedes Ereignis hat eine Ursache’; ‘Die Welt besteht aus dauerhaften Objekten, die unabhängig von mir existieren’; ‘Alle erkennbaren Objekte befinden sich in Raum und Zeit’. Diese Sätze können nicht durch Erfahrung bewiesen werden, da ihre Wahrheit bei der Interpretation der Erfahrung vorausgesetzt wird. (30)