Input: Empathie – eine Begriffsklärung

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Um den Begriff der Empathie hat sich in der Bethlehem Baptist Church eine Kontroverse entfaltet (siehe diese YouTube-Session mit Doug Wilson & Joe Rigney sowie das Gespräch von Rigney, Anderson und Alastair Roberts). In der aktuellen Ausgabe von Themelios wird der psychologisch überfrachtete Begriff näher untersucht. 

Es geht um unterschiedliche Definitionen:

Es scheint, dass ein Schiff unter dem Banner “Empathie” fährt, dessen Besatzung andere aus ihrer Sicht zu verstehen und etwas von ihren Emotionen zu spüren versucht, während ein anderes Schiff unter dem Banner “Empathie” fährt, dessen Besatzung diesen Begriffe mit Verstrickung (Identitätsverlust) und extremen Relativismus (Wahrheitsverlust) gleichsetzen.

Zum wortgeschichtlichen Befund von Sympathie und Empathie:

Die Worte συμπαθής und συμπαθέω werden nur in 1 Petrus 3,8; Hebräer 4,15 und 10,34 verwendet. Das Wort ἐμπάθεια wird in keinem der beiden Testamente verwendet. … Wenn ἐμπάθεια in antiken Texten verwendet wurde, drückte es “Leidenschaften” aus, die “im Inneren” brodelten oder einen ausfüllten – kontextspezifisch konnten diese die ganze Bandbreite umfassen: sexuelle Leidenschaften bzw. heisser Zorn.

Innerhalb der Psychologie unterscheidet man zwei Aspekte von Empathie.

  1. Kognitive Empathie bedeutet, die Erfahrungen und Interpretationen der anderen Person aus deren Sicht zu verstehen. „Das Üben einer solchen kognitiven Empathie beinhaltet eine bescheidene (und schwierige) Fähigkeit des Zuhörens: die vorübergehende Zurückhaltung eines Urteils über die Gefühle, Worte, Interpretation und Perspektive der anderen Person, bis man genaues und solides Verständnis erlangt hat.“
  2. Affektive Empathie beinhaltet in gewissem Maße die Emotionen einer anderen Person zu spüren im Sinne einer “affektiven Anpassung” oder affektiven Einstimmung. Auch wenn sie sich auf die Affekte konzentriert, so beinhaltet sie doch eine kognitive Bewertung. Sie schließt weder kritisches Denken und Analyse aus, noch vernachlässigt sie die umfassenderen Zusammenhänge der Realität.

Davon abgegrenzt: Verstrickung ist “ein Zustand, in dem zwei oder mehr Menschen … in übermäßigem Maße in die Aktivitäten und persönlichen Beziehungen des anderen involviert sind, was eine gesunde Interaktion einschränkt oder ausschließt und die individuelle Autonomie und Identität gefährdet”.

Psychologen unterscheiden zwischen dem Erleben von Empathie selbst und der kompetenten Vermittlung angemessener Empathie. Deshalb: „Empathie ist ein reichhaltiges und dynamisches Schiff auf einer Fahrt der sorgfältigen Orientierung am Anderen.“

Innerhalb der Medizin ist der Zusammenhang zwischen Empathie und beschleunigtem Genesungsprozess nachgewiesen. „Die Interaktion des Pflegepersonals mit Patienten und ihren Familien ist entscheidend für eine erfolgreiche Medizin. … (Diese Art von Präsenz) hilft dem Gehirn des Patienten sogar, ‚adaptiv auf Umweltveränderungen zu reagieren‘“.

Innerhalb der Seelsorge ist es „der auf den anderen ausgerichtete Charakter der Empathie, der dazu beiträgt, die uneigennützige Gabe der Vergebung zu fördern.“ Berater werden darauf trainiert, „sich während ihrer empathischen Reflexionen immer wieder zu fragen, ob der Klient “die Art und Weise, wie ich ausdrücke, was ich über ihn verstehe, tolerieren kann”.

Es muss deshalb zwischen Empathie als ethischem Kompass und Empathie als wichtigem Bestandteil persönlicher Beziehungen unterschieden werden. Weil es schwierig ist, affektive Empathie gegenüber Menschen zu entwickeln, die sich ethnisch, religiös oder physisch von einem selbst unterscheiden, muss kognitive Empathie in Situationen, in denen die affektive Empathie für die Fremdgruppe schwierig ist, eine wichtigere Rolle spielen.

Fazit:

  • Es ist gesund, sich darüber zu sorgen, dass jemand verletzt ist (Mitgefühl); zu versuchen, andere aus ihrer Perspektive zu verstehen (kognitive Empathie).
  • Es ist ungesund, den Sinn für Wahrheit sowie die Fähigkeit zu verlieren, eine größere Perspektive einzunehmen, die über diejenige einer verletzten Person auf ihren eigenen Schmerz hinausgeht oder ihr sogar widerspricht (extremer Relativismus).
  • Empathie (richtig verstanden) hat nichts mit extremem Relativismus zu tun. Es ist gesund zu versuchen, etwas von den Gefühlen anderer zu teilen (affektive Empathie); so wie es ungesund ist, seine eigene Identität und Perspektive in der Leidenserfahrung eines anderen zu verlieren (Verstrickung).