Buchhinweise: Erste Analysen von Wirtschaftshistorikern zur Covid-Krise

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Anfang dieses Jahres nahm ich mir Zeit, um mit die Analysen zweier bedeutender Historiker der Gegenwart zur Covid-Krise zu Gemüte zu führen. Zuerst war dies das neue Buch des Briten Niall Ferguson (* 1964), “Doom: Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft”. Die Verlagsbeschreibung trifft – für einmal – den Nagel auf den Kopf bezüglich zentraler Aussagen:

Der Sinn des Todes: Die Lebenserwartung ist zwar in unserem modernen Zeitalter stetig gestiegen, doch der Tod bleibt unausweichlich, und in absoluten Zahlen wird heute mehr gestorben denn je. Trotzdem haben wir uns dem Tod entfremdet. 

Zyklen und Tragödien: Katastrophen sind naturgemäß unvorhersehbar, da die meisten Unglücksfälle (von Erdbeben bis zu Kriegen) keiner normalen Verteilung unterliegen, sondern zufällig oder nach den Gesetzen der Macht verteilt sind. Zyklische Theorien der Geschichte greifen daher nicht.

Die Illusion der Wissenschaft: Das 19. Jahrhundert war eine Zeit bedeutender Fortschritte, vor allem auf dem Gebiet der Bakterienforschung. Trotzdem sollten wir uns keiner fortschrittsgläubigen Interpretation der Medizingeschichte hingeben. 

Die wirtschaftlichen Folgen der Seuche: Der Umschwung von Selbstgefälligkeit zu Panik Mitte März 2020 führte viele Länder in einen wirtschaftlich verheerenden Lockdown. War das die richtige Antwort auf die vom Coronavirus aufgeworfenen Probleme? Wahrscheinlich nicht.

Zukünftige Schrecken: Wir können nicht wissen, wie die nächste Katastrophe aussehen wird. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, unsere politischen Systeme widerstandsfähiger zu machen und besser noch so aufzustellen, dass sie an Krisen wachsen. Dazu benötigen wir jedoch ein besseres Verständnis von Netzwerkstrukturen und bürokratischer Dysfunktion.

Zudem interessant: Ferguson hebt die Wichtigkeit der mittleren politischen Etagen bei der Bewältigung von Katastrophen hervor. Bürokratische Verzögerung und Vertuschung wirken sich verheerend. Zudem warnt Ferguson davon, die gesamte Schuld einer Person zuzuschieben; dies sei der gewohnte Reflex der westlichen Gesellschaften. Neu war für mich auch das Lob an die Adresse Taiwans für eine vorausschauende, rasch handelnde Politik. Eine zwiespältige Rolle spielen für ihn die sozialen Netzwerke, die am Wiedererstarken eines magischen Denkens beteiligt seien.

Für einen 90-minütige Einführung empfehle ich diese Diskussion; es gibt eine Reihe weiterer Gespräche um die 60 Minuten. Hinweis: Um die grossen Linien eines solchen Denkers zu verstehen, benötige ich jeweils zwei bis drei Anläufe. Diese Rezension ist eine gute Ergänzung.

Das zweite Werk stammt vom britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze (* 1967). In “Welt im Lockdown. Die globale Krise und ihre Folgen” nimmt dieser einen politisch deutlich weniger konservativen Standpunkt ein und plädiert beispielsweise für eine expansive Geldpolitik. In einer Diskussion mit der London School of Economics zeigt er sich sehr beeindruckt vom Ausmass der Krise, deren Zeuge er selbst wurde – das Business der Frau war betroffen, ebenso die Tochter im College. Er analysiert die Interventionen der Notenbanken vor und während der Krise. Wie ein Rezensent treffend feststellt: “Da sich die Globalisierung beschleunigt und die Welt immer mehr verflochten ist, werden immer schneller immer globalere Instrumente nötig.” Besonders interessant fand ich das Statement zu seiner Arbeit als Historiker in derselben Diskussion (um die Minute 40). Er ist sich seiner Standpunkt-Gebundenheit bewusst und scheinbar dem Historismus ausgeliefert: Er publiziert heute etwas über gestern, was morgen überholt sein könnte. Zudem ist eindrücklich, wie er das Verhalten der Staaten beschreibt: Es gab offenbar keine ausführlichen Beratungen und Analysen. Grosse Staaten reihten sich in die Reaktionen der anderen ein. Dies deckt sich mit meinen eigenen (beschränkten) Eindrücken.