Im Anschluss an meine Aidlinger Vorlesungen hielt ich zum dritten Mal in Folge zwei Vorträge im Fachbereich Hermeneutik (hier geht es zu den bisherigen Einheiten). Es geht darum, unsere unbewusst angelegten Voreinstellungen zum Lesen der Bibel zu überprüfen und neue Zugänge zu entdecken mit dem Ziel Jesus besser zu erkennen.
Lernen ist ein Frage-/Antwort-Geschehen, eingebettet in personale Beziehungen (siehe «Fragen eines Existenzanalytikers», «Fragen für meine Tagesplanung», «Fragen für den nächsten (Familien-)Spaziergang», «Wie antworte ich auf die Anfragen des Lebens»). Seit Jahren ist das Schärfen unserer Fragen bzw. das Wachsen in der Fähigkeit, Fragen zu stellen, ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit mit Erwachsenen (siehe der Podcast «Eine kleine Schule des Fragens»).
Meine Fragen an die Teilnehmer:
- Warum bist du hier? Was gab den Anstoss diese Woche so einzusetzen?
- Was zieht dich an? Was stösst dich eher ab? Was suchst du zu vermeiden? Wovor fliehst du gar?
- Was war “bekannt und verachtet” – im Sinne von “nicht schon wieder”?
- Was war bekannt und erst jetzt im Bereich deiner Aufmerksamkeit (“jetzt erst beginne ich zu verstehen”)?
- Was war neu und anziehend, wird jedoch wegen Umsetzungsschwierigkeiten voraussichtlich nicht als neue Gewohnheit etabliert werden?
- Was bin ich bereit wegzulassen, um das Bessere zu gewinnen? Welche – auch unbedeutend scheinende – Tagesgewohnheit werde ich anpassen?
Zudem stellte ich vier Grundprinzipien im Umgang mit dem Text vor:
- Ich stelle mich unter den Text.
- Er geht mich unbedingt an, weil er Ansprache des dreieinen Gottes darstellt. Ich ringe deshalb hartnäckig-zuversichtlich mit dem Text.
- Es geht um einen personalen Erkenntnisgewinn. Harte Denkarbeit ist Anbetung.
- Gefühlsmässig erfüllende Momente sind nicht Ziel, sondern Frucht dieses Ringens. Sonst wird die Bibellese abhängig von unserem Gefühlszustand.
In der ersten Einheit (44 Minuten) ging ich ab Minute 14 auf drei Abschnitte des Philipperbriefes ein und untersuchte den Bezug zu Christus:
- Der Briefanfang: Als wessen Sklave sehe ich mich? (Wo leiste ich allenfalls Sklavenarbeit, von der mich Christus befreien möchte?)
- Das Dankgebet: Worin möchte ich zunehmen – im Blick auf das Ende?
- Ungeahnte Wege in Fesseln: Mit welchen Einschränkungen kämpfe ich gerade?
- Gewürdigt für Ihn zu leiden: Bin ich bereit Widerstand in Kauf zu nehmen als (Himmels-)Bürger?
In der zweiten Einheit (42 Minuten) erläuterte ich ausgehend vom roten Faden «Wachsen durch Konflikte» eine Hauptbotschaft des Philipperbriefes und brachte die Christus-Hymne (Philipper 2,5-11) damit in Zusammenhang. Paulus adressiert die Selbstsucht sowohl bei einzelnen Zeugen für das Evangelium (1,15f) als auch als potenzielle Gefahr in der Gesamtgemeinde durch das Drehen um die eigene Achse (2,3f). Selbst unter engagierten Verkündigern führte das Eigeninteresse zu ernsthaften Spannungen(4,2f). Als Gegenbeispiel zeigt Paulus anhand der beiden Mitarbeiter Timotheus und Epaphras (2,19-30), die sich ehrlich für die Anliegen der Gemeinde einsetzten. Ich erläuterte den Unterschied zwischen der Freiheit der Selbstvergessenheit und dem Helfersyndrom.