Input: Präsenz, Selbstkontrolle und Beharrlichkeit als Schlüsselfertigkeiten der Führung

Neulich habe ich auf das Konzept der Neuen Autorität hingewiesenFrank Baumann-Habersack wendet es in «Mit neuer Autorität in Führung gehen» (2016) auf die Unternehmenswelt an.

Arist von Schlippe (* 1951), der das Konzept im deutschen Sprachraum bekannt machte, beschreibt den Wandel in der Führungswelt so:

In dieser Kultur wird Führung nicht mehr durch die Zuweisung formaler Autorität installiert, in der die Untergebenen wie „Marionetten“ die Aufgaben erfüllen, die ihnen zugewiesen werden. Es geht vielmehr darum, Wirtschaft und Unternehmen immer wieder neu zu erfinden. In diesem Prozess der kontinuierlichen Bearbeitung von Unsicherheit stellen sich die Aufgaben von Führung neu. Es geht nicht mehr darum, durch zugewiesene Autorität allein Orientierung zu bieten und heldenhaft die Unsicherheit im Unternehmen zu absorbieren. Anders als der „Macher-Mythos“ nahelegt, ist es nicht die eine Person „oben“, die Ziele definiert und vorgibt. Führung ist nur eine von vielen Kontextbedingungen, die in einem Unternehmen wirksam sind – und manchmal funktioniert ein Unternehmen eher trotz seiner Führung gut als wegen dieser. Kontrolle geht in diesem Bild nicht von einer Person aus, sondern von Zusammenhängen, Verknüpfungen, Beziehungen und Interaktionen… Heute ist Kommunikation ein Schlüsselwort geworden, heute geht es eher darum, Kooperationen anzuregen und zu ermöglichen und die Randbedingungen dafür sicherzustellen. Damit geht ein ganz anderes Verständnis von Führung einher, nicht mehr die einsame Entscheidung an der Spitze ist gefragt, sondern die Fähigkeit, sich klug in Netzwerken bewegen zu können. Qualitäten wie die Fähigkeit zum Gespräch, zur Kontaktaufnahme und zur persönlichen Präsenz kennzeichnen eine Führungspersönlichkeit heute. Es sind Qualitäten, die sich weniger aus der Zuweisung einer Position und Funktion ergeben, als vielmehr aus der Art und Weise, wie die Position ausgefüllt wird. (XIII)

Wie sieht der Ansatz der Neuen Autorität entlang der Schlüsselmerkmale aus (vgl. Seite 6)?

  1. Präsenz: Führungskräfte zeigen ausdauernd verlässliche Präsenz und wachsame Sorge – auch gegen den Willen der Mitarbeiter („Ich bin da, und ich bleibe da“). 
  2. Selbstkontrolle: Ein zentraler Aspekt ist die Selbstkontrolle der Führungskraft – und zwar anstelle einer Kontrolle der Mitarbeiter, die sich ohnehin als illusionär erweist. 
  3. Vernetzung: Im Mittelpunkt des Konzepts stehen immer mehrere Menschen, die sich gegenseitig den Rücken stärken. Autorität ausschließlich durch Hierarchie wird ersetzt durch Autorität durch Vernetzung. 
  4. Deeskalation: Das Streben nach konstruktiver, gewaltloser und verbindender Stärke tritt an die Stelle von destruktiver, invasiver und gewalttätiger Durchsetzung von Macht. 
  5. Wiedergutmachung: An die Stelle von Bestrafungen tritt Versöhnung durch gemeinsame Versöhnungs- und Beziehungsgesten. 
  6. Transparenz: Reaktionen auf und Interventionen gegen Fehlverhalten müssen trans- parent und öffentlich gemacht werden. Denn nur so zeigen die Autoritätspersonen, dass sie zuhören und wirksam einschreiten, wenn es darauf ankommt. 
  7. Beharrlichkeit: Eine Zusammenarbeit, die jedes Fehlverhalten sofort mit einer Vergeltungsaktion quittiert und damit eskaliert, wird ersetzt durch das Führen durch wohlüberlegte Beharrlichkeit („Ich akzeptiere das nicht und werde meine Schritte bedenken“). 

In der Ist-Analyse des Führungsverhaltens jüngerer Generationen arbeitet der Autor gekonnt heraus, was diesen fehlt (vgl. Seite 12):

  1. Präsenz: Wer nie Präsenz und dadurch auch Nähe durch seine Eltern oder Erzieher erlebt hat, kennt Distanz als Normalzustand. 
  2. Selbstkontrolle: Wer in Rahmenbedingungen aufwächst, in denen kaum auf Wunscherfüllung gewartet werden muss, kann die Fähigkeit der Selbstkontrolle nicht in der Weise ausbilden wie andere Heranwachsende, die sich vieles selbst hart erkämpfen müssen. 
  3. Vernetzung: 500 Freunde auf Facebook zu haben, ist etwas ganz anderes, als im realen Leben mit einer Handvoll Mitstreiter entschlossen Schulterschluss zu zeigen. 
  4. De-Eskalation: Oftmals schwankten deren Eltern und Erzieher abrupt hin und her zwischen einer Laisser-faire-Haltung und autoritärem Gehabe, weil sie einen dritten Weg zu einer gemeinsamen Verständigung schlicht nicht kannten. 
  5. Wiedergutmachung: Sie haben eher gelernt, abzutauchen. Einmal auf dislike klicken – fertig. Oder es wird bestraft, Schuld verteilt, ohne emotionale, in die Gemeinschaft integrierende Konse- quenzen. Mal schnell ein sozial gelerntes „Tschuldigung“, ein bisschen Nachsitzen und weiter geht’s 
  6. Transparenz: Den eigenen Tagesablauf mit Restaurant-Fotos via Facebook transparent zu machen oder ein eigenes Video auf eine Social-Media-Plattform hochzuladen, ist nicht das Gleiche wie ein mutiges, öffentliches, gemeinsames Vorgehen in Mitverantwortung für ein Ziel. 
  7. Beharrlichkeit: Kann eine Generation, deren Alltag durch zahlreiche elektronische Kommunikationsgeräte, laufend neu angebotene Ziele, eine einfache Bedürfnisbefriedigung sowie ständige Nachrichten- und Werbeunterbrechungen geprägt ist, eine Tugend wie die der Beharrlichkeit überhaupt noch einüben?